Prof. Dr. Martin Werding,
Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft
Quelle: 20. Februar 2025, PKV
©AdobeStock Nattapol_Sritongcom
Die ohnehin schon hohe Belastung von Löhnen und Gehältern wird in den kommenden Jahrzehnten voraussichtlich deutlich steigen.
Auf Basis des derzeit geltenden Rechts könnte der Beitragssatz auf bis zu 45 % bis zum Jahr 2035 steigen, das ist in zehn Jahren. Die Versäumnisse der Vergangenheit bewirken, dass sich der Beitragssatz selbst bei sehr guten Annahmen und Entwicklungen erstmal nicht mehr unter 40 % bewegen wird.
Dies erzeugt massive Risiken für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung im Inland mit ungünstigen Auswirkungen auf die Beschäftigung und gefährdet den gerechten Ausgleich zwischen den beteiligten Generationen. Das zeigen zahlreiche Berichte, u.a. der Bericht der BDA-Kommission zur Zukunft der Sozialversicherung (ursprünglich aus 2020, aber nun aktualisiert vorgelegt) unter Leitung von Professor Dr. Werding (Ruhr Universität Bochum) und das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2023 zu Reformen in der Gesetzlichen Rentenversicherung ebenso eine Studie des GES Instituts im Auftrag der DAK (inklusive Update 21. Januar 2025) und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands (23. Januar 2025).
Zum Januar 2025 addieren sich die Beitragssätze in der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung auf 41,9 % .
Sie lagen 2023 erstmalig seit zehn Jahren wieder über der 40-%-Marke.
Gegenüber dem Vorjahr nahm die Beitragsbelastung um knapp 1,5 Prozentpunkte zu, weil nicht nur der Zusatzbeitragssatz zur Krankenversicherung gestiegen ist (erneute Anpassung des Zusatzbeitrags zu 2025 um durchschnittlich 0,8 Beitragssatzpunkte), sondern auch der Pflegeversicherungsbeitragssatz zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit erneut angehoben wurde (auf 3,6 %).
Nach § 28d SGB IV umfasst der Gesamtsozialversicherungsbeitrag alle auf das Arbeitsentgelt bezogenen Beiträge zu den von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam finanzierten Sozialversicherungszweigen, also der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung.
Auch der durchschnittliche Zusatzbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung (2,9 %) und der zum 1. Januar 2005 eingeführte und zum 1. Juli 2023 erhöhte Beitragszuschlag für Kinderlose in der sozialen Pflegeversicherung (0,6 %) gehören damit zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag.
Wir brauchen einen klaren Fahrplan, wie die Beitragssätze wieder auf unter 40 % begrenzt werden. Wir brauchen auch in der Sozialversicherung ein Bewusstsein für langfristiges Denken und nachhaltige Entscheidungen. Wie beim 1,5-Grad-Ziel in der Klimapolitik braucht es für die Sozialversicherungen ein griffiges Nachhaltigkeitsziel. Ein Stoppschild in Form einer Obergrenze bei den Sozialbeiträgen kann hierzu wesentlich beitragen. Einmal im Jahr sollte die Bundesregierung außerdem einen Bericht über die Zukunftsfähigkeit unserer sozialen Sicherungssysteme abgeben. Das stärkt die Transparenz, fördert Reformdebatten und ermutigt zu langfristigen Entscheidungen.
Die BDA setzt sich deshalb – in ihren Grundsatzpositionen, Stellungnahmen und Veröffentlichungen – dafür ein, die Leistungen aller Zweige der Sozialversicherung auf eine Basissicherung zu konzentrieren und die darüber hinaus gehenden Ansprüche vom Einzelnen selbst zu finanzieren (Stärkung der Eigenverantwortung). Das ist ohne Beeinträchtigung der sozialen Sicherung und ohne finanzielle Überforderung der Betroffenen möglich, zumal sinkende Zwangsabgaben auch zusätzliche Handlungsspielräume für private Vorsorge schaffen.
Das Verhältnis von Solidarität und Subsidiarität muss wieder in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden. Die Solidargemeinschaft darf nur da eintreten, wo Einzelne sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Die stärkere Betonung des Subsidiaritätsprinzips schafft nicht nur mehr Leistungsgerechtigkeit, sondern hält darüber hinaus den Sozialstaat langfristig finanzierbar.
Nach vorläufigen Ergebnissen wurden im Jahr 2023 insgesamt rd. 1.249 Mrd. € für soziale Leistungen ausgegeben. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dies einen Anstieg um 5,2 %, der deutlich hinter dem nominalen Wirtschaftswachstum mit einem Plus von 6,3 % zurückblieb. Das Verhältnis von Sozialleistungen zum Bruttoinlandsprodukt - die Sozialleistungsquote - fällt deshalb mit 30,3 % erneut niedriger aus als in den Vorjahren, die krisenbedingt höhere Werte aufweisen (BMAS, Sozialbuget 2023). Die sinkende Sozialleistungsquote ist also nicht das Ergebnis eines sparsamen Staates.
Vielmehr ist der Sozialstaat schon vor den aktuellen Krisen (Corona-Nachwirkungen, Ukraine-Krieg, demografischer Wandel und Klimakrise) deutlich überproportional gewachsen – und dies trotz eines langen Aufschwungs und Rekordbeschäftigung. Umso mehr gilt jetzt, dass Solidarität und Subsidiarität – mit Blick auf eine nachhaltige und generationengerechte Sozialpolitik – wieder in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen.
Erklärvideo zum Thema:
Obergrenze von 40% bei Sozialbeiträgen verbindlich einhalten
Arbeitgeber tragen den Sozialstaat
Laut Sozialbudget der Bundesregierung 2023 lag der Finanzierungsanteil der Arbeitgeber an allen Sozialleistungen mit 34 % über dem des Staates (33,6 %) und höher als die Sozialbeiträge der Versicherten (30,7 %). Seit der Corona-Krise und der notwendig gewordenen Zusatzfinanzierung durch den Staat für u.a. Entschädigungen, Impfstoffe und Testangebote lag der Staat bei den Finanzierungsausgaben minimal vor den Arbeitgebern. Mit dem Sozialbudget 2023 sind wieder die Arbeitgeber die größten Financiers des Sozialstaats.
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