Europäisches Semester

Haushalts- und Wirtschaftspolitik europäisch koordinieren und national umsetzen

Das Europäische Semester ist ein jährlicher Zyklus, in dem die EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschafts- und Haushaltspläne gemeinsam abstimmen und überwachen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Mitgliedstaaten alle auf einem stabilen wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitischen Pfad bleiben.
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Seit 2011 reicht die wirtschaftspolitische Koordinierung im Rahmen des Europäischen Semesters von der Sicherstellung der Haushaltsdisziplin – insbesondere die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts – über die makroökonomische Überwachung bis zur Wachstumsförderung. Sie leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Mitgliedstaaten wesentliche wirtschafts- und sozialpolitische Reformen zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung durchführen.

Die intensive Koordinierung nationaler Wirtschafts- und Sozialpolitiken auf EU-Ebene ist dringend notwendig, um die Konvergenz der europäischen Volkswirtschaften hin zu einer verbesserten internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten und im Wettbewerb mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten bestehen zu können.

Ungelöste strukturelle Probleme in einzelnen Mitgliedstaaten können jedoch zu erheblichen Risiken für die makroökonomische Stabilität der Eurozone sowie der gesamten EU führen. Mithilfe des Verfahrens zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte sollen derartige Fehlentwicklungen in den Mitgliedstaaten in Zukunft frühzeitig identifiziert und behoben werden.

Schutz der Tarifautonomie

Aus den Lehren vergangener Krisen erfolgte die Anpassung des Verfahrens zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte, so wird nunmehr auch die Lohnstückkostenentwicklung in den Mitgliedstaaten überwacht. Keinesfalls darf sie zu Eingriffen in die nationale Lohnfindung und die Autonomie der Tarifvertragsparteien führen. Es liegt in der Verantwortung der Tarifpartner, in den Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass bei der Lohnfindung die internationale Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt wird.

Sozialpolitischer Kontroll- und Überwachungsmechanismus

Im Jahr 2017 haben die Europäische Kommission, der Rat der EU und das Europäische Parlament gemeinsam die sogenannte Europäische Säule Sozialer Rechte (ESSR) proklamiert. Dabei handelt es sich um eine rechtlich nicht verbindliche, politische Absichtserklärung, die die soziale Dimension der EU stärken soll. Sie umfasst 20 Grundsätze zu den Themen Chancengleichheit, Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsmarktbedingungen, soziale Sicherung und Inklusion.

Problematisch ist hierbei, dass viele der Grundsätze in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Sozialpartner fallen und die EU über keinerlei Kompetenz in diesen Bereichen verfügt. Daher darf die ESSR nicht als Legitimationsgrundlage für europäische Rechtsetzung im sozialpolitischen Bereich herangezogen werden, was seitdem allerdings wiederholt geschehen ist.

Das Europäische Semester soll als zentrales Überwachungsinstrument bei der Umsetzung der ESSR fungieren. Insbesondere beinhalten die Länderberichte, die die Kommission im Rahmen des Semesters für jeden Mitgliedstaat erstellt, seit 2018 daher ein sogenanntes sozialpolitisches Scoreboard. Dieses misst und vergleicht die Leistungen der Mitgliedstaaten im Bereich Beschäftigung und Soziales anhand von 14 Indikatoren. Zu den Indikatoren zählen beispielsweise die Beschäftigungs- und die Arbeitslosenquote, das durchschnittliche Nettoeinkommen oder die Quote der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen.

Seit der Kommissionsmitteilung zum „europäischen Grünen Deal“ im Dezember 2019 werden die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung ebenso im Rahmen des Europäischen Semesters begutachtet.

Einbindung der Sozialpartner

Die verstärkte, wirtschaftspolitische Koordinierung berührt wichtige Regulierungsbereiche, die in die Kompetenzen der Sozialpartner fallen, allen voran der Beschäftigungspolitik. Daher ist eine angemessene und frühzeitige Einbindung der Sozialpartner in das Europäische Semester unabdingbar. Dies erfordert die Konsultation der Sozialpartner sowohl auf europäischer Ebene durch Kommission und Rat als auch auf nationaler Ebene durch die Regierungen. Diese Einbindung muss rechtzeitig erfolgen, sodass die Ergebnisse tatsächlich in die Entscheidungsfindung einfließen können.

Um Doppelstrukturen zu vermeiden, dürfen auf EU-Ebene keine neuen Gremien geschaffen werden, sondern bestehende Institutionen – vor allem der Ausschuss für den Sozialen Dialog – genutzt werden. Damit Sozialpartner in allen Mitgliedstaaten sich in diesem Zusammenhang effektiv einbringen können, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die EU entsprechende Maßnahmen des Kapazitätsaufbaus in den Staaten unterstützt. Das Europäische Semester kann dazu selbst einen wichtigen Beitrag leisten und hat diesen Aspekt in den vergangenen Jahren bereits zunehmend in Länderberichten und länderspezifischen Empfehlungen berücksichtigt.

Initiativen der BDA
  • Erarbeitung der gemeinsamen Erklärung der Europäischen Sozialpartner zur Einbindung der Sozialpartner in das Europäische Semester, Verankerung zentraler Forderungen der deutschen Arbeitgeber
  • Stellungnahmen zum Jahreswachstumsbericht, zum Nationalen Reformprogramm und zu den länderspezifischen Empfehlungen
  • Teilnahme an der Sozialpartneranhörungen der Europäischen Kommission