Europäischer Mindestlohn

Im europäischen Gesetzgebungsverfahren ist es wichtig, dass die Vielfalt der Arbeitsbeziehungen und der Systeme der Lohnfestsetzung berücksichtigt wird.

Die Europäische Kommission hat im Oktober 2020 einen Richtlinienvorschlag zu europäischen Mindestlöhnen vorgelegt. Nachdem im Rahmen der Trilog-Verhandlungen ein Kompromisstext erarbeitet worden ist, wurde die Richtlinie am 25. Oktober 2022 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Sie ist nun in den 27 Mitgliedstaaten umzusetzen. Die BDA und die europäischen Arbeitgeber lehnen diese Richtlinie als Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip ab.
Diversität der nationalen Arbeitsbeziehungen beachten 

Die Vielfalt der Arbeitsbeziehungen und der Systeme der Lohnfestsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten muss bewahrt werden. Diese stehen im Einklang mit nationalen Traditionen und den unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen. Die Systeme innerhalb der EU sind historisch gewachsen und höchst verschieden. So ist in 22 Mitgliedstaaten eine allgemeine, gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenze in Kraft, während die restlichen Länder über sektorale – meist tarifvertraglich festgelegte – Regelungen verfügen. Die Einführung einer europäischen Regelung zu Lohnuntergrenzen wird in diese Strukturen erheblich eingreifen und hat Auswirkungen auf das gesamte Lohn- und Tarifsystem. Es zeigt sich gerade in den nordischen Staaten, wie erfolgreich das Konzept der Lohnfestsetzung durch die Tarifpartner ist. In diesen Ländern existiert Tarifautonomie, während gleichzeitig überdurchschnittlich hohe Löhne gezahlt werden.  

Zugang zum Arbeitsmarkt nicht erschweren

Eine Etablierung von Mindestlöhnen, die nach bestimmten Kriterien der Angemessenheit europaweit festgelegt werden, würde den Zugang zum Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte, Menschen mit Vermittlungshindernissen und solche, die in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen, erschweren. Eine zu einheitliche Bestimmung von Mindestlöhnen wird somit keine Verbesserungen der wirtschaftlichen Bedingungen und der damit verbundenen Leistungsfähigkeit der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in den Mitgliedstaaten bewirken. Vielmehr greift ein solcher Mechanismus in die Wettbewerbsverhältnisse der EU-Staaten ein und würde die notwendige Anpassungsfähigkeit der nationalen Lohnregime beeinträchtigen.  

Mit der Mindestlohnkommission gibt es in Deutschland ein etabliertes Gremium, das über die Höhe des Mindestlohns befindet. Dies hat sich bewährt. Die Einführung neuer verbindlicher europäischer Kriterien zur Festlegung der Höhe von Mindestlöhnen ist deshalb problematisch. 

Zuständigkeiten beachten und Tarifautonomie wahren

Die Europäischen Verträge schließen gemäß Art. 153 Abs. 5 AEUV die Zuständigkeit der EU für „das Arbeitsentgelt“ aus. Die nun beschlossene Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, den Mindestlohn unter anderem an 60 % des jeweiligen brutto Medianentgelts bzw. 50 % des jeweiligen brutto Durchschnittsentgelts zu orientieren, stellt eine Bestimmung für die konkrete Lohnhöhe für einen Teil der Arbeitnehmer in den EU-Mitgliedstaaten dar. Dies greift unmittelbar in die Bestimmung des Arbeitsentgeltes ein, was nicht von der sozialpolitischen Kompetenz der EU gedeckt ist. 

Hohe Tarifbindung muss eigenständig wachsen und kann nicht gesetzlich vorgeschrieben werden 

Die zu erreichenden 80 % Tarifbindung sind als Zielmarke zwar wünschenswert, werden sich aber nicht durch politische Vorgaben erreichen lassen. Tarifbindung entsteht nur durch gegenseitiges Vertrauen der Sozialpartner, nur durch gemeinsame Verhandlungen können attraktive Tarifverträge entstehen, die individuelle und flexible Lösungen bereitstellen und von beiden Seiten gerne angewendet werden. Hier darf es keine starren Vorgaben und zu ambitionierte Zielwerte geben, die das empfindliche Gefüge der Sozialpartnerschaft in eine falsche Richtung oder mit zu hoher Geschwindigkeit drängen und so grundlegend aus dem Gleichgewicht zu bringen.