Herr Dulger, im vergangenen Jahr haben Sie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier als „Fehlbesetzung“ eingestuft. Gilt dieses Urteil noch?
Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat sich in der Krise stark profiliert. Er hat schnell erkannt, wo Wirtschaftspolitik jetzt zügig handeln muss, wo Unternehmen Hilfe brauchen. Und er hat angepackt. Das verdient Respekt. Herr Altmaier hat in dieser Sondersituation zusammen mit der Regierung und dem Parlament insgesamt sehr wirkungsvoll und sachgerecht gehandelt. Darum beneiden uns übrigens Viele in der Welt.
Sie haben Altmaier damals unter anderem für „planwirtschaftliche“ Industriepolitik kritisiert. Ist der Kurs denn inzwischen marktwirtschaftlicher?
Natürlich steht in dieser Pandemie Anderes im Vordergrund. Mein Punkt bleibt deshalb umso wichtiger: Wir müssen auch an die Zeit nach Corona denken und die richtigen Weichenstellungen vornehmen. Deshalb müssen wir jetzt für gute Wirtschaftsbedingungen in Deutschland sorgen, damit die Arbeitsplätze von morgen hier entstehen und nicht anderswo. Das erfordert mehr Vertrauen der Politik in Marktwirtschaft und Unternehmergeist, als wir es in letzter Zeit erleben.
Mit den vielen Milliarden Euro Staatshilfe – von Auto-Kaufprämie bis Kurzarbeitergeld – sind Sie dennoch zufrieden?
Ja. Ich erkenne an, dass wir – dass Unternehmen und Beschäftigte – in diesen besonderen Zeiten viel staatliche Hilfe erhalten. Das ist in der Tat nicht reine Marktwirtschaft. Und genau deshalb ist es auch so wichtig, dass dieser Zustand nicht länger anhält als unbedingt nötig.
Wie weit sind wir auf dem Weg durchs wirtschaftliche Tal? Und wie sehr bringt uns die Aussicht auf einen Impfstoff dabei heute schon voran?
Offenbar kommen wir mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um die 5 Prozent in diesem Jahr davon. Das ist schon eine gute Nachricht, denn es wäre glimpflicher als in der Finanzkrise 2009. Und was den Impfstoff betrifft: Tatsächlich trägt schon die Aussicht auf diesen zur Stabilisierung bei. Ein mögliches Enddatum der Pandemie gibt jeder unternehmerischen Zukunftsplanung neue Perspektiven – auch wenn das Datum weit entfernt ist, weil das Durchimpfen unserer Bevölkerung seine Zeit dauern wird.
Läuft dann etwa auch die Erholung ähnlich schwungvoll wie vor zehn Jahren?
Da bleibe ich skeptisch, denn leider werden sich nicht alle entstandenen wirtschaftlichen Probleme wegimpfen lassen. Die Industrie steckte schon vor Corona in einer Rezession und in schwierigen Umbrüchen. Hier nenne ich nur einige Stichworte: Digitalisierung, Dekarbonisierung. Das sind Herausforderungen, die es vor zehn Jahren so nicht gab – und die nun umso stärker auch politische Reformbereitschaft erfordern.
Erst einmal wird nun der „November-Lockdown“ bis Weihnachten verlängert. Wie viel davon hält die Wirtschaft noch aus, bevor es weitere Strukturbrüche mit negativen Langfristfolgen entstehen?
Je schneller die Wirtschaft in ihrer gesamten Breite zum Normalbetrieb zurückkehren kann, desto besser ist das für die ersehnte wirtschaftliche Erholung. Aber trotzdem ist es natürlich völlig gerechtfertigt, wenn für die Politik derzeit an oberster Stelle das Ziel steht, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Und umso besser, wenn es gleichzeitig gelingt, Schulen und Kitas offenzuhalten.
Als Arbeitgeberpräsident vertreten Sie auch das Gast- und Veranstaltungsgewerbe. Die sind wohl etwas kritischer?
Natürlich kann man über vieles diskutieren was Verhältnismäßigkeit und auch Wirksamkeit angeht. Auch ich hatte nie den Eindruck, dass Restaurants wirklich Infektionsherde waren. Das hätte man sicher flexibler handhaben können. Dennoch bleibe ich dabei, auch weil ich es immer wieder von ausländischen Geschäftspartnern so gespiegelt bekomme: Insgesamt sind wir mit unserem Kurs der Pandemiebekämpfung gut durch diese Krise gekommen und haben unser Gesundheitssystem nicht überlastet und am Laufen gehalten.
Und damit ist es für sie jetzt auch gesamtwirtschaftlich in Ordnung, die Beschränkungen bis Weihnachten zu verlängern?
Natürlich gefällt mir das nicht und ich würde mir aus Sicht der Wirtschaft anderes wünschen. aber es ist nun einmal leider so, dass wir diese Pandemie in den Griff bekommen und unsere Bevölkerung schützen müssen. Umso wichtiger ist es, dass ein Ende dieser Situation in Sicht kommt.
Wie und von wem soll die Rechnung für die vielen Staatshilfen nach ihrer Vorstellung später bezahlt werden?
Wirtschaftliche Dynamik ist die beste Lösung. Erfolgreiche, starke Unternehmen, die möglichst vielen Menschen sichere Arbeitsplätze bieten können, sorgen dafür, dass am Ende über Steuern und Sozialbeiträge viel Geld in die öffentlichen Kassen kommt. Das war auch das Erfolgsrezept nach der Finanzkrise. Leider sehe ich mit Sorge, dass sich diesmal ein politischer Wettstreit darum anbahnt, welche und wie starke Steuererhöhungen es bald geben soll. So schafft man gerade keine wirtschaftliche Dynamik und Innovationsbereitschaft – eher würgt es den erhofften Aufschwung ab.
Was dann?
Wir brauchen eine Politik, die Unternehmertum ermöglicht und ermutigt, die Risiko- und Investitionsbereitschaft stärkt anstatt bestraft. Und wir brauchen eine Reform der Sozialsysteme, damit uns dort nicht die Kosten und Sozialbeiträge immer weiter aus dem Ruder laufen. Dazu gehört, die Beitragssätze auch für die Zukunft wirksam auf 40 Prozent des Bruttolohns zu begrenzen. Und unsere Dauerforderung nach einem Belastungsmoratorium für die Wirtschaft bleibt genauso aktuell. Aber das kann eigentlich nur ein erster Schritt sein. Denn für mehr Dynamik sind auch echte Entlastungen nötig.
Glauben Sie ernsthaft, es wird nach der Bundestagswahl keine Steuererhöhungen geben?
Ich rechne damit, dass wir eine heftige Diskussion über Steuererhöhungen bekommen. Und ich trete umso stärker dafür ein, dass dann mindestens genauso intensiv über echte Reformen für mehr wirtschaftliche Dynamik diskutiert wird.
Wären Sie etwa bereit, beides gleichzeitig zu machen – mehr Reformen gegen Steuererhöhungen?
Nein. Ich bleibe bei meinem Erfolgsrezept: Reformen für wirtschaftliche Dynamik bringen höhere Steuereinnahmen, ohne dass dafür Steuersätze steigen müssen. Solange dieser Weg nicht beschritten ist, gibt es für Steuererhöhungen keine Grundlage. Schon heute belastet Deutschland seine Wirtschaft mit höheren Unternehmenssteuern und höheren Sozialabgaben als die meisten Industrieländer der Welt.
Es gibt eine einmalige Krise mit einmaligen Sonderlasten für den Staat. Da wird sich das Konzept einer einmaligen Sonderabgabe auf große Vermögen wohl politisch gut vertreten lassen.
Ganz ehrlich: Was sich politisch wie und wann vertreten ließe, interessiert mich an dieser Stelle nicht, es muss auch sachlich geboten sein. Wir brauchen eine Entlastung der Unternehmen, ohne die es Wohlstand und sichere Arbeitsplätze in diesem Land nicht geben wird. Und sonst brauchen wir erst einmal gar nichts: keine Vermögensabgaben – und auch nicht irgendwelche Lieferkettengesetze, Zeitarbeitsverbote, Homeoffice-Gesetze oder was da sonst noch geplant und im Köcher ist. Wir brauchen mehr Flexibilität und Freiheit für unsere Unternehmen. Und wir brauchen ein Belastungsmoratorium, an das sich Politiker mehr als eine Sonntagsrede lang halten.
Wie ist die 40-Prozent-Grenze für die Sozialbeiträge zu halten, ohne immer höhere Steuern in die Sozialkassen zu leiten?
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hatte dazu eigens eine Sozialstaatskommission eingerichtet, die im September überzeugende Vorschläge geliefert hat. Dazu zählt etwa eine weitere Anpassung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung...
... und wie ist es in der Pflege, wo sich alle mehr Lohn, mehr Personal und weniger finanziellen Eigenanteil erwarten?
Höhere Leistungen für weniger Geld gibt es nicht, irgendwer muss immer bezahlen. Wenn Einigkeit darüber besteht, dass diese Mehrausgaben besonders wichtig sind, dann brauchen wir eben Einsparungen an anderen Stellen des Sozialsystems. Das muss auch jeder Unternehmer so machen: Steigen die Kosten in einem Bereich, müssen andere Kosten sinken. Auch die Politik muss sich daran wieder gewöhnen. Wir brauchen eine Deckelung der Sozialabgaben auf 40 Prozent – nicht nur als Absichtserklärung, sondern gesetzlich bindend, am besten mit Verfassungsrang.
Sie fordern ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft. Ist die geplante gesetzliche Frauenquote für Vorstände aus Ihrer Sicht ein Fall für das Moratorium?
Das Ziel dieser Debatte – nämlich mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen – unterstütze ich voll und ganz. Allerdings gefällt mir das Mittel der gesetzlichen Quote nicht. Ich kenne diese Probleme aus meinem Unternehmer-Alltag, obwohl mein Unternehmen nicht direkt unter die geplante Vorschrift fallen wird: Wir hatten vor kurzem eine Abteilungsleitung neu zu besetzen – mein Wunsch war, diese mit einer Frau zu besetzen. Aber mein Personalvermittler lachte mich aus, weil ich mit so einem Auftrag auf ihn zugekommen bin und sagte: „Ziehen Sie gerne eine Nummer. Wir setzen Sie auf die Warteliste – 80 andere Unternehmen suchen auch.“ Was ich damit sagen will: Wenn Politik Unternehmen sehenden Auges in eine solche Lage drängt und ihnen dazu noch Strafen androht, hat das mit einem Belastungsmoratorium nichts zu tun. Und es geht auch an der derzeitigen Realität auf dem Arbeitsmarkt vorbei.
Warum dringt die Wirtschaft mit ihren Warnungen insgesamt so wenig durch?
Die Politik gewöhnt sich wohl sehr rasch daran, sich immer tiefer in die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen einzumischen, regulierend und alimentierend gleichermaßen. Aber es ändert nichts an dem Problem: Die Politik ist nicht der bessere Unternehmer. Wohlstand und Zukunftsfähigkeit sind so auf Dauer nicht zu sichern.
Sollten die großen Wirtschaftsverbände fusionieren, um neue Stärke zu finden?
Wir sind gut aufgestellt, wir können unsere Interessen gut artikulieren. Außerdem ist die deutsche Wirtschaft so vielfältig: wir haben das Handwerk, die Industrie, den Handel, das Dienstleistungsgewerbe und viele mehr – da ist es nur gut, mit vielen Stimmen unsere Interessen in Richtung der Politik zu artikulieren. Und diese Stimmen widersprechen sich ja auch nicht, wenn es um das Ziel einer Politik für neue wirtschaftliche Dynamik geht. Sie sind gemeinsam umso stärker!
Die Politik steht vor einem Einschnitt, die Ära Merkel geht zu Ende. Wem drücken Sie für den CDU-Parteivorsitz die Daumen: Laschet, Merz oder Röttgen?
Egal, wer es wird, die deutsche Wirtschaft hat klare Erwartungen an ihn. Wir brauchen das entschlossene Anpacken von Reformen, um unseren Wirtschaftsstandort zu stärken.
Sie trauen das allen dreien zu?
Alle drei haben ihre Kompetenzen, oder besser: alle vier. Ministerpräsident Laschet geht ja mit einer Team-Lösung mit Jens Spahn ins Rennen.
An der neuen Regierung könnten aber auch die Grünen mitwirken – mit mehr Klimaschutz und härteren Vorgaben für die Autoindustrie. Inwieweit sehen Sie da neue Chancen für die Wirtschaft?
Dass wir ein ökonomisches und ökologisches Gleichgewicht brauchen, ist unbestritten. Und wir können auch einen Weg finden, um mit unserer Wirtschaft ökologisch weiter erfolgreich zu sein. Mein Tagesgeschäft als Unternehmer ist es übrigens, durch Umweltschutz Geld zu verdienen – mit Technologien zur Wasseraufbereitung klären wir Industrieabwässer so, dass sie der Umwelt nicht schaden. Unsere ganze Wirtschaft kann mit ökologischen Konzepten erfolgreich sein, aber unter einer Bedingung: Politische Vorgaben müssen technologieoffen sein. Wenn es um bestmöglichen Klimaschutz geht, darf die Regierung nicht vorgeben, welcher Antrieb richtig ist, oder dass Strom nur aus Wind kommen soll – es muss sich die beste und wirksamste Lösung durchsetzen können. Wenn das gewährleistet ist, haben uns die Grünen auf ihrer Seite.
Was können die Arbeitgeber beitragen, damit Deutschland nicht derart in verfeindete Lager zerfällt wie die Vereinigten Staaten? Vielleicht höhere Löhne, wie es die Gewerkschaften fordern?
Das ist mir zu kurz gesprungen. Aber es hat mit Arbeit zu tun: Arbeit verbindet uns, sie schafft sozialen Frieden. Das einzig wirksame Mittel gegen Armut ist Arbeit. Und die am besten funktionierenden Sozialsysteme sind unsere Betriebe, denn sie bieten auch Schutz vor Vereinsamung, bieten Halt in Krisenzeiten. Jeder muss verstehen, dass es ohne eine funktionierende Wirtschaft keinen Wohlstand und auch keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt geben kann. Wenn jeder einzelne eingebunden ist an seinem Arbeitsplatz und hilft, den Laden am Laufen zu halten, dann schafft das Zusammenhalt.
Was treibt Sie, Arbeitgeberpräsident zu werden? Ziele jenseits der Tagespolitik?
Als Arbeitgeberpräsident möchte anpacken und gestalten, das ist wohl das, was mich am meisten treibt. Ich möchte mich vor allem auch für die Geschlossenheit der Arbeitgeberverbände weiter einsetzen – den stark sind wir nur zusammen! Mich als Unternehmer treibt um, dass so wenige junge Menschen ihr eigener Chef werden wollen. Die Möglichkeit, ein Geschäft aufzubauen, die Arbeitsplätze von morgen zu schaffen, ziehen viele junge Menschen nicht mehr in Betracht. Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich in Schulen danach frage oder in Gespräch mit Jugendlichen. Wenn Unternehmertum keinen Stellenwert mehr hat in unserem Land, dann ist das gefährlich. Und daran will ich in meiner neuen Funktion gerne nach Kräften etwas ändern.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Online vom 26. November 2020
Fragen von Dietrich Creutzburg und Heike Göbel
Link zum Interview: https://bit.ly/3meETsz
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