Die vier Spitzenverbände der Deutschen Wirtschaft, BDA, BDI, DIHK und ZDH, legen eine Gemeinsame Erklärung „Für einen Aufbruch, der unser Land nachhaltig stark macht“ vor. Darin fordern sie von der künftigen Bundesregierung eine Agenda 2030, um die Wettbewerbsfähigkeit von Standort, Unternehmen und Arbeitsplätzen zu steigern.
Berlin, 9. November 2021. Die Unternehmen und Betriebe in Deutschland stehen mit ihren Beschäftigten vor großen Herausforderungen: Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Tendenzen einer De- Globalisierung führen zu dem wohl tiefgreifendsten Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft seit der Wiedervereinigung. Hinzu kommen Verwerfungen im Welthandel und geopolitische Neupositionierungen, die für die exportorientierte Wirtschaft unseres Landes ein hohes Maß an Unsicherheit bedeuten.
In dieser Situation erwarten wir von der neuen Bundesregierung Klarheit und Entschlossenheit. Wir nehmen die Ankündigung von Aufbruch ernst. Aufbruch bedeutet nicht mehr Regulierung und Belastungen. Aufbruch bedeutet wirtschaftliche Dynamik mit Vertrauen in die Kreativität der Menschen in den Betrieben vor Ort. Und Aufbruch geht nur mit Respekt auch vor Eigentum, unternehmerischer Leistung, Gründergeist, Selbstständigkeit, Risikoübernahme und der Verantwortung für Arbeitsplätze.
Eine Zukunftskoalition für Deutschland muss darauf zielen, auch einen Wirtschaftsstandort mit Zukunft zu schaffen. Nur mit Unternehmen, die als Innovatoren, Investoren und Arbeitgeber verantwortungsvoll ihre Freiräume nutzen, werden wir die Zukunft unseres Landes erfolgreich gestalten. Dafür brauchen sie gute Rahmenbedingungen wie eine leistungsfähige Infrastruktur, eine verlässliche und kostengünstige Energieversorgung und ein gutes Bildungssystem. Wir erwarten daher auch klare Signale im Koalitionsvertrag in diese Richtung.
Unsere Erwartungen:
Wir brauchen Vorfahrt für mehr Wettbewerbsfähigkeit. In vielen Feldern hinkt die deutsche Politik der Weltspitze hinterher. Das Verwalten vergangener Erfolge reicht nicht aus. Eine Agenda 2030, die auf nationaler wie internationaler Ebene die Wettbewerbsfähigkeit von Standort, Unternehmen und Arbeitsplätzen steigert, muss Maßstab der Politik sein. Dazu zählen wir ein wettbewerbsfähiges Steuersystem, das auch mögliche Entlastungen realisiert.
Wir bekennen uns zu ehrgeizigen Klimazielen und fordern Offenheit für marktwirtschaftlichen Klimaschutz. Unsere Unternehmen wollen an der Spitze einer in jeder Hinsicht nachhaltigen Wirtschaft stehen. Dabei setzen wir auf Innovation und Marktwirtschaft statt auf Bürokratie und Verbote. Der Klimaschutz ist die globale Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Wir sollten deshalb nicht in erster Linie über die Ziele streiten, sondern uns gemeinsam auf das „Wie“ konzentrieren. In fast allen Branchen müssen wir die Klimaauswirkungen in knappen Zeiträumen auf ein Minimum reduzieren. Das erfordert nicht weniger als einen kompletten, gleichzeitig technologieoffenen Umbau von Energieversorgung und Mobilität auf Basis erneuerbarer Energien. Es bedingt zusätzlich eine weitgehende Umstellung heute noch emissionsintensiver Produktionsverfahren und die Entwicklung nachhaltiger sowie kreislauffähiger Produkte und Dienstleistungen. Die dazu erforderlichen riesigen Investitionen und erhöhten Betriebskosten können Unternehmen und Betriebe nur stemmen, wenn die deutsche und europäische Politik durch internationale Klimaschutz-Vereinbarungen eine faire Wettbewerbssituation erreicht. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, müssen wir nicht nur bei uns in Deutschland und Europa den CO2-Ausstoß drastisch reduzieren. Wir sind überzeugt davon, dass es mindestens ebenso wichtig ist, mit innovativen Produkten, neuen industriellen Prozessen und Dienstleistungen weltweit unsere Kunden und damit die Menschen dabei zu unterstützen, Klimaschutz und das Streben nach mehr Wohlstand miteinander verbinden zu können.
Ein nachhaltiges Wachstum erreichen wir nur mit mehr Investitionen vor allem der Privatwirtschaft. Wir müssen gemeinsam Abschied von einem komplizierten und bürokratischen Deutschland nehmen. Richtschnur für die künftige Bundesregierung sollte vielmehr sein, private Investitionen durch mehr Freiräume für unternehmerische Entscheidungen, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren und eine investitionsfreundliche Steuerpolitik zu ermöglichen.
Solide Finanzen leisten dabei einen wichtigen Beitrag. Eine nachhaltige und transparente Staatsfinanzierung ist für Unternehmerinnen und Unternehmer zugleich ein wichtiger Beleg für die Glaubwürdigkeit der Politik. Denn sie wissen umgekehrt: Hohe Schulden heute sind die Steuerbelastungen von morgen. Die Unternehmen in Deutschland wollen investieren – in neue, digitale und nachhaltige Geschäftsmodelle, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen. Dafür benötigen sie aber die Mittel. Wenn ihnen dieser Spielraum durch höhere Sozialversicherungsabgaben oder Steuern verwehrt wird, werden wir den Strukturwandel nicht erfolgreich bewältigen.
Wir setzen auf einen befähigenden Sozialstaat. Sozial ist nicht, wer das meiste Geld ausgibt. Eigenverantwortung zu stärken und Menschen zu befähigen – dies muss Sozialpolitik leisten. Nur mit einem solchen Verständnis wird es uns gelingen, die Obergrenze der Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent zu halten. Ohne Reformen droht bis 2040 ein Beitragsanstieg in den Sozialversicherungen auf 50 Prozent. Wir erwarten den Verzicht auf nicht finanzierbare Ausgabenprogramme und vielmehr den Realismus, dass unsere Sozialversicherungssysteme auf den demografischen Wandel nur durch Reformen – wie zum Beispiel durch eine Flexibilisierung der Altersgrenze – zukunftsfest gemacht werden können. Nachhaltigkeit als politisches Leitmotiv muss auch die Sozialen Sicherungssysteme einschließen.
Wir brauchen ein klares Ja zu einer modernen, von strukturverändernden Trends geprägten Arbeitswelt. Die Menschen haben heute andere Vorstellungen zur Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben als vor 20 Jahren. Digitale Technologien ermöglichen stärker ortsunabhängiges Arbeiten. Die Regeln der Arbeitswelt müssen daher mit einem lebensnahen Blick auf die neuen Realitäten fortentwickelt werden. Verantwortliche und flexible Arbeitszeiten müssen ohne Bürokratie ebenso möglich sein, wie flexible, mobile und eigenverantwortliche Arbeitsformen. Das schließt auch den Respekt vor Betriebsvereinbarungen und sozialpartnerschaftlichen Regelungen ein. Wir erwarten von einer neuen Bundesregierung ein starkes Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie. Eingriffe in die Arbeit der unabhängigen Mindestlohnkommission und eine politisch forcierte Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen sind das Gegenteil davon.
Wir sollten gemeinsam Kraft einsetzen für eine umfassende Bildungs-, Ausbildungs- und Weiterbildungsoffensive. Die großen politischen Ziele – vor allem im Klimaschutz und der Digitalisierung – können nur mit qualifizierten Beschäftigen in unseren Betrieben umgesetzt werden. Deutschland muss gleichzeitig attraktiver für ausländische Fachkräfte werden. Die neue Bundesregierung muss die Verfahren für eine gezielte und qualifizierte Fachkräftezuwanderung vereinfachen und beschleunigen sowie bürokratische Hürden abschaffen.
Wir erwarten ein klares Bekenntnis zum Freihandel und zur europäischen Integration. Nationalismus ist der Gegner der weltoffenen Unternehmen in Deutschland. Wir erwarten eine Offensive für die Vertiefung des Binnenmarktes, einen Abschluss der nötigen Freihandelsabkommen und einen konstruktiven Beitrag der deutschen Politik für ein bürgernäheres und starkes Europa.
Nie war eine starke Wirtschaft wichtiger als jetzt: Die Schulden der Coronakrise müssen abgetragen, die sozialen Sicherungssysteme nachhaltig finanziert und unser Land auf die Bewältigung neuer Krisen vorbereitet werden. Wir müssen dafür im Strukturwandel neue Arbeitsplätze schaffen, Investitionen stemmen und durch Innovationen Nachhaltigkeit konsequenter umsetzen. Wir wollen als Wirtschaft wesentliche Antworten auf die Herausforderungen liefern, vor denen Deutschland in den kommenden Jahren steht. Dazu brauchen wir den Rückenwind einer guten Politik.
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