BDA AGENDA 19/2024 | THEMA DER WOCHE | 26. September 2024
Die Beeinflussung der Anpassung des Mindestlohs durch die Politik beschädigt die Sozialpartnerschaft in Deutschland. Die Politik selbst ist überfordert mit dieser Aufgabe.
Am 9. September 2024 hat der Bundesarbeitsminister mal wieder bewiesen, dass seine Beteuerungen, sich nicht in die Mindestlohnentwicklung einzumischen, nicht verlässlich sind. An diesem Tag präsentierte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im Morgenmagazin einen Brief an die Vorsitzende der Mindestlohnkommission vom selben Tag (!), in dem er diese und ihre Mitglieder dazu auffordert im Rahmen der nächsten Anpassungsentscheidung als Referenzwert 60 % des Bruttomedianlohns anzuwenden. Von dem im deutschen Mindestlohngesetz verankerten Anpassungskriterium, der nachlaufenden Tariflohnentwicklung, war in diesem Schreiben nichts zu lesen. Pikanterweise ist zu diesem Veröffentlichungszeitpunkt noch keines der Mitglieder der Mindestlohnkommission von Heils Anordnung informiert.
Die Mindestlohnkommission hat in der Vergangenheit in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs genauso wie in der Krise stets verantwortungsvolle Entscheidungen gefällt. Die Politik tut gut daran, der Kommission den notwendigen Respekt für diese Arbeit und ihre Unabhängigkeit zu zollen. Ansonsten bedeutet dies de facto das Ende der unabhängigen Mindestlohnkommission. Die Forderung nach einer Mindestlohnanpassung auf über 15 Euro mit Verweis auf die EU-Richtlinie ist reinster Wahlkampfpopulismus. Tatsächlich liegt der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Bruttomedianlohn pro Stunde für Vollzeitbeschäftigte aktuell bei 22,20 Euro. Eine Mindestlohnanpassung anhand 60 % des Medians läge demnach deutlich unter den derzeitigen politischen Vorstellungen.
Die Begründung mit der Mindestlohnrichtlinie ist obendrein falsch: Bislang hatten vom EU-Sozialkommissar bis zum Bundesarbeitsminister alle versichert, dass es keinen Umsetzungsbedarf der Richtlinie gäbe, da das deutsche Mindestlohngesetz alle Vorgaben erfüllt. Der 60 % - Median Referenzwert ist nur ein unverbindliches Beispiel der Richtlinie. Das deutsche Gesetz muss daher nicht geändert werden. Bundesarbeitsminister Heil weiß das und stellt die Rechtslage nun bewusst falsch dar. Das ist unerträgliches Wahlkampfgetöse und gefährdet die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission. Wie unabhängig kann eine Kommission agieren, wenn Mitglieder der Bundesregierung bestimmte Erwartungen zukünftiger Ergebnisse in Abhängigkeit von Wahlterminen formulieren?
Sozialpolitik ist keine Kernkompetenz der EU. Die Europäischen Verträge sagen klar: Die EU darf nicht in die Tarifautonomie und die Entgelte in den Mitgliedsstaaten eingreifen. Am 17. September 2024 hat die mündliche Verhandlung Dänemarks vor dem Gerichtshof der Europäischen Union angefangen, die zu Recht Anfang 2023 Klage gegen die Richtlinie eingereicht hatten. Es ist zu hoffen, dass der EuGH die von vielen kritisierte Kompetenzüberschreitung der Kommission zurückweist.