Wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, geht es längst nicht mehr nur um die Umwelt. Immer mehr rückt die soziale Dimension in den Blick. Diesen Trend belegt auch eine Vielzahl von europäischen Initiativen. Allerdings forciert die EU-Gesetzgebung die Gestaltung von Nachhaltigkeit im Wesentlichen durch ein bürokratisches Berichtswesen. Dabei ist dies in erster Linie eine Unternehmens-, und keine Verwaltungsaufgabe.
Die deutsche Wirtschaft steht uneingeschränkt zur Notwendigkeit einer nachhaltigen Unternehmensführung und einer angemessenen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Derzeit sind die EU-Institutionen allerdings weit von einem ganzheitlichen Ansatz entfernt, der kohärente und zugleich handhabbare Berichterstattungspflichten für Unternehmen vereinen würde. Eine Vielzahl paralleler Legislativinitiativen – vorbereitet in unterschiedlichen Generaldirektionen der Europäischen Kommission und perspektivisch in unterschiedlichen Ratsformationen und Parlamentsausschüssen verabschiedet – werden erst in den Unternehmen zum unfreiwilligen Praxistest zusammengeführt. Dort droht sich eine vielfache, überbürokratisierte Berichterstattungspflicht durch Dopplungen und Überschneidungen.
Nachhaltigskeitsberichterstattungsrichtlinie (CSRD)
Als Teil des „Sustainable Finance Package“ legte die EU-Kommission im April 2021 den Richtlinienvorschlag zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) vor: Die Richtlinie erweitert nicht nur die Berichtspflicht auf eine Vielzahl von neuen Unternehmen, sondern auch den Umfang der Berichtspflichten, insbesondere im Bereich Soziales. Neue Vorgaben für Berichtsstandards beziehen sich etwa auf angemessene Löhne sowie die Existenz von Betriebsräten, einschließlich des Anteils der von Tarifverträgen erfassten Arbeitnehmer. Die EU-Kommission wird die Berichtspflichten im Wege der delegierten Rechtsetzung durch Berichtsstandards konkretisieren, wobei sie durch die Europäische Beratungsgruppe zur Rechnungslegung, kurz EFRAG, unterstützt werden soll.
Aus Arbeitgebersicht bestehen grundsätzliche Bedenken zum Prozess der Standardsetzung und den EFRAG-Entwürfen der Berichtsstands. Insbesondere erscheinen die Anforderungen an die sozialen EU-Nachhaltigkeitsberichtspflichten, die größtenteils unverändert im Entwurf der delegierten Verordnung durch die Europäische Kommission übernommen wurden, aus Kompetenz-, Rechtsstaatlichkeits- und Verhältnismäßigkeitserwägungen höchst fragwürdig. Sie missachten die Vorgaben der endgültigen Richtlinie und des EU-Vertragsrechts. Der Detailgrad der verlangten Informationen ist auf betrieblicher Ebene kaum umsetzbar. Die daraus resultierende Bürokratie würde die betroffenen Betriebe unverhältnismäßig belasten.
Taxonomie-Verordnung
Die im Juni 2020 verabschiedete Taxonomie-Verordnung sieht zur Lenkung von Kapitalströmen zur Finanzierung der grünen Transformation ein Klassifizierungssystem vor, wonach gewisse wirtschaftliche Aktivitäten nach technischen Bewertungskriterien als nachhaltig definiert werden. Bislang wurden weder abschließend alle Kriterien für die Umweltziele noch die Berichtsmethodik per delegiertem Rechtsakt endgültig bestimmt, nichtsdestotrotz werden den betroffenen Unternehmen bereits umfangreiche Berichtspflichten auferlegt. Eine faktische Verpflichtung zur Errichtung von Sorgfaltspflichtsystemen wäre aus Arbeitgebersicht ein massiver Eingriff in das Kerngeschäft der Unternehmen, der die Vielzahl der geltenden Gesellschaftsrechtstraditionen außer Acht lässt und damit unverhältnismäßig ist. Es ist inakzeptabel, Unternehmen zur Einhaltung freiwilliger CSR-Rahmenwerke, etwa der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, zu verpflichten, da diese nicht als Compliance-Instrumente gedacht sind.
Es gibt ebenso Bestrebungen, die Taxonomie um soziale Aspekte zu erweitern. In Anlehnung an die Taxonomie-Verordnung schlägt die Plattform für Nachhaltiges Finanzwesen (PNF) vor, die soziale Taxonomie als Maßstab zur Identifizierung von sozial nachhaltigen Investitionen zu nutzen und vermehrt private Kapitalströme in Richtung von sozial als wertvoll erachteten Wirtschaftsaktivitäten zu lenken. Unternehmen würden somit abermals Vorschriften unterworfen, ausführlich über sozial erwünschtes unternehmerisches Handeln sowie menschenrechtliche Standards Rechenschaft abzulegen.
Aus Arbeitgebersicht ist dies wenig zielführend und unnötig. Soziale Ziele sind in den Unternehmenspraktiken bereits heute verankert, und zwar durch die Arbeitsplätze, die sie anbieten, und durch ihre Investitionen in die Mitarbeitenden. Außerdem gelten für Unternehmen bereits viele soziale Anforderungen durch die – insbesondere nationale – Gesetzgebung. Ein Großteil der Fragen im Zusammenhang mit sozialen Investitionen gehören zu den klar definierten Zuständigkeitsbereichen der Mitgliedstaaten. Die Festlegung von EU-Kriterien, die Unternehmen einhalten müssen, um als sozial nachhaltig zu gelten, widerspricht den primärrechtlich verankerten Zuständigkeiten in der Sozialpolitik.
Europäische Klimasozialfonds
Im Juli 2021 hat die Europäische Kommission im Rahmen des „Fit-für-55“-Pakets, das insgesamt zwölf Gesetzesinitiativen umfasst, eine Verordnung zur Einrichtung eines Klima-Sozialfonds vorgeschlagen. Ziel der Vorschläge ist es, europaweit die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken und auf diesem Wege auch Klimaneutralität bis 2050 (Europäischer Grüner Deal) zu erreichen. Der Klima-Sozialfonds soll dazu dienen, die sozialen und verteilungspolitischen Auswirkungen der grünen Transformation abzufedern, die insbesondere von der geplanten Erweiterung des Emissionshandelssystems auf die Sektoren Gebäude und Straßenverkehr herrühren würden. Die Finanzmittel aus dem Klima-Sozialfonds zielen auf einkommensschwache Privathaushalte, Kleinstunternehmen und Verkehrsteilnehmer ab, da sie an ihrem Einkommen gemessen mit spürbaren Mehrkosten in den Bereichen Energie und Verkehr rechnen müssen.
Aus Arbeitgebersicht stellt der Klima-Sozialfonds eine neue europäische Umverteilung von Finanzmitteln dar und läuft somit Gefahr, sich mit bereits bestehenden Fonds auf der EU-Ebene zu überschneiden. Die frühzeitige Einbindung der Sozialpartner auf nationaler und europäischer Ebene ist von entscheidender Bedeutung. Es ist unabdingbar, dass die Finanzmaßnahmen kein Ungleichgewicht zwischen direkter Einkommensunterstützung und Investitionen darstellen, damit ein solcher Fonds eine möglichst langfristige Wirkung entfalten kann. In erster Linie sind produktive Investitionen mit einem klaren EU-Mehrwert am besten geeignet, besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen und Sektoren langfristig zu entlasten. Im Hinblick auf sozialpolitische Aspekte des Vorschlages – wie etwa die Einkommensbeihilfen – muss die nationale Kompetenz in diesem Politikbereich vollständig eingehalten werden.
Ratsempfehlung für einen gerechten Übergang zur Klimaneutralität
Die Ratsempfehlung für einen gerechten Übergang zur Klimaneutralität verfolgt das Ziel, einen gerechten und inklusiven Übergang zur Klimaneutralität und ökologisch nachhaltigen Wirtschaft bis 2050 sicherzustellen. Dafür sollen die Mitgliedstaaten die notwendigen beschäftigungs- und sozialpolitischen Maßnahmenpakete einleiten und die verfügbaren Finanzmittel auf EU- und nationaler Ebene optimal nutzen. Das Bekenntnis zur frühzeitigen Einbindung der Sozialpartner auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene bei der Erarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen zur arbeits- und sozialpolitischen Bewältigung des ökologischen Wandels ist hierbei besonders wichtig.