Strukturreformen statt Nebelkerzen - 
Die Politik muss endlich die finanzielle Nachhaltigkeit in der Kranken- und Pflegeversicherung sicherstellen


BDA AGENDA 12/23 | THEMA DER WOCHE | 15. Juni 2023

Die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ist nicht gesichert. Schon im kommenden Jahr droht in der GKV wieder ein Finanzierungsloch von bis zu 7 Mrd. €. Die aktuell im politischen Raum diskutierte (außerordentliche) Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ist keine Lösung. Anstatt Nebelkerzen zu werfen, muss die Politik endlich ihre Hausaufgaben machen und zum einen die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zur kurzfristigen Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung umsetzen und zum anderen nachhaltige Strukturreformen einleiten.

Bis zum 31. Mai 2023 hätte das Bundesgesundheitsministerium eigentlich Empfehlungen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung erarbeiten müssen. Hierbei sollte insbesondere auch die Ausgabenseite der gesetzlichen Krankenversicherung betrachtet werden. Eigentlich. So steht es im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Veröffentlicht wurde vom Bundesgesundheitsminister jedoch bis heute nichts. Dabei ist die Stabilisierung der Finanzen von Kranken- und Pflegeversicherung nach wie vor ein drängendes Thema. Nach Schätzungen des GKV-Bundesverbandes beläuft sich das für 2024 zu erwartende Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung auf bis zu 7 Mrd. € - immerhin 0,4 Beitragssatzpunkte. Und die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung ist – trotz zum 1. Juli 2023 erfolgter deutlicher Beitragssatzanhebung – nur bis 2025 gesichert.

Dabei ist das Rezept zur Stabilisierung der Finanzen der Kraken- und Pflegeversicherung so einfach wie kurz:

  • Der Staat finanziert die von ihm an die Kranken- und Pflegekassen delegierten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – aus Steuermitteln. Dazu müssen kostendeckende Beiträge für Bürgergeldbeziehende durch den Bund gezahlt werden, damit die Krankenkassen für die Übernahme der Versorgung von Hilfebedürftigen die Mittel erhalten, die sie dafür benötigen. Außerdem müsste der Bundeszuschuss für versicherungsfremde Leistungen dynamisiert werden, um die schleichende Entwertung zu verhindern und die Pflegeversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige übernommen werden.
  • Sowohl in der Kranken- und Pflegeversicherung werden endlich nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen eingeleitet. Dazu gehört die Konsolidierung der Krankenhauslandschaft unter sachgerechter Sicherstellung der Grundversorgung ebenso wie die Überwindung der Sektorengrenzen, das Vorantreiben der Digitalisierung und der Ausbau der Eigenverantwortung.

Doch anstatt Hausaufgaben zu machen, werden in der aktuellen politischen Debatte Nebelkerzen geworfen und Untote wiederbelebt. Die (außerordentliche) Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze soll es richten und unter dem argumentativen Deckmäntelchen der Gerechtigkeit die klammen Kassen füllen. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft könnte dies insgesamt bis zu 15,7 Mrd. € (paritätisch durch Beschäftigte und Arbeitgeber aufgebracht) an Mehreinnahmen für die GKV bedeuten. Mehr Gerechtigkeit schafft das (bei gleichbleibendem Beitragssatz) nicht, sondern stellt vielmehr eine „Sondersteuer“ für qualifizierte Fachkräfte und deren Arbeitgeber dar. Zudem legt eine solche Anhebung die Axt an das bewährte duale Krankenversicherungssystem – und das ist definitiv nicht im Koalitionsvertrag vereinbart.

Zudem löst eine solche Anhebung auch nicht das eigentliche Problem: Das überproportionale Ausgabenwachstum. Die Aussage von Bundesgesundheitsminister Lauterbach im letzten Herbst zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz – nämlich dass er kein frisches Geld aus Steuermitteln für die GKV wolle, sondern zunächst erstmal die Effizienzreserven gehoben werden müssen – gilt selbstverständlich auch für die Gelder der Beitragszahlenden. Auch deshalb wäre die außerordentliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze falsch, verhindert sie doch eine Disziplinierung der Ausgabendynamik.

Anstatt die Wirtschaft durch immer weiter steigende Beiträge zu belasten und den Standort Deutschland immer unattraktiver zu machen, erwarten wir, dass die Politik ihre Hausaufgaben macht und die langfristige Leistungsfähigkeit und nachhaltige Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung sichert. Heute – nicht irgendwann.

Hier finden Sie noch ein Positionspapier der vbw zu Sozialversicherung und Lohnzusatzkosten.