Es ist Zeit für 12 Euro Mindestlohn


BDA AGENDA 2/22 | KOMMENTAR DER WOCHE | 27. Januar 2022

Stefan Körzell, Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes und Mitglied der Mindestlohnkommission für die Arbeitnehmerseite

 

Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte, denn für viele Beschäftigte hat er zu einer spürbaren Lohnerhöhung geführt. Vielen Befürchtungen zum Trotz ist er kein Job-Killer. Im Gegenteil: Seit seiner Einführung im Jahr 2015 ist die Beschäftigung in Gänze gestiegen, vor allem die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat sich gut entwickelt. Zudem sorgt der Mindestlohn für faire Wettbewerbsbedingungen, denn einzelne Unternehmen können sich nicht länger Vorteile durch Lohn-Dumping verschaffen.  

Und dennoch gibt es immer wieder in der Kritik am Mindestlohn, weil er derzeit eben kaum zum Leben reicht. Weil Beschäftigte, die etwa in der Gastronomie, im Sicherheitsgewerbe, im Einzelhandel oder in Call-Centern arbeiten, eben vielfach nicht nach Tarif bezahlt werden, sondern mit dem Mindestlohn. Ihre Einkommen reichen nicht, um davon eine Familie zu ernähren. Es geht hier um mehr Wertschätzung der geleisteten Arbeit von Millionen Beschäftigten. Es geht auch um eine höhere Arbeitszufriedenheit. Und es geht um den Fachkräftemangel, über den sich niemand wundern muss, wenn angemessene Löhne verwehrt werden. Arm trotz Arbeit ist kein Randphänomen, sondern leider bittere Realität für viele Menschen.

Somit war es auch kein Wunder, dass der Mindestlohn erneut Thema Im Bundestagswahlkampf war. Die lebhafte Debatte dazu dauert bis heute an. Bei allem Diskurs ist aber auch festzuhalten, dass eine beindruckend breite Mehrheit der Bevölkerung es ausdrücklich begrüßt, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben – und das querbeet über alle Parteipräferenzen hinweg. Die Entscheidung pro 12 Euro ist damit auch Ausdruck der politisch-demokratischen Willensbildung.

Wer hierbei von „Staatslöhnen“ spricht, verklärt den Blick auf die Wirklichkeit. Richtig ist vielmehr, dass hierzulande viel zu oft so geringe Löhne gezahlt werden, dass die Betroffenen zusätzlich Sozialleistungen beantragen müssen, um zumindest halbwegs über die Runden zu kommen. Und diese staatlich alimentierten Löhne finanzieren die Steuerzahlenden – ein Fakt, der leider viel zu selten beachtet wird.

Unterm Strich würden von einer Erhöhung auf 12 Euro mindestens 8,6 Millionen Menschen profitieren, davon allein 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte. Und wer aktuell zum Mindestlohn Vollzeit arbeitet, hätte dann im Monat netto rund 220 Euro mehr auf dem Lohnzettel. Jeder Cent mehr Mindestlohn bringt einen gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftgewinn von 20 Millionen Euro jährlich – hochgerechnet auf 12 Euro sind es schließlich mehrere Milliarden. Geld, das meist unmittelbar in den Wirtschaftskreislauf zurückfließt und somit wie ein Konjunkturpaket wirkt.

In der Mindestlohnkommission würden wir unter den gegebenen Bedingungen aber bis 2027 brauchen, um auf die 12 Euro zu kommen. Dies ist niemandem zu vermitteln. Deshalb ist es richtig, dass der Gesetzgeber einmalig eingreift, um das Niveau auf 12 Euro anzuheben. Danach sollte Kommission in bewährter Manier ihre Arbeit fortsetzen und zukünftige Erhöhungen beschließen.

Für uns Gewerkschaften ist der Mindestlohn stets nur die zweitbeste Lösung. Unser Fokus liegt auf Guter Arbeit mit guten Löhnen – und die gibt es nur mit Tarifverträgen. Doch leider ist die Tarifbindung hierzulande seit zwei Jahrzehnten rückläufig. Diesen Trend gilt es umzukehren mithilfe aller – Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik gleichermaßen. Genau DAS stärkt die Sozialpartnerschaft samt Tarifautonomie. Packen wir es gemeinsam an. Im Interesse aller. Denn schlussendlich ist der Mindestlohn nur als Antwort auf die stetig sinkende Tarifbindung zu sehen.