Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht, Deutsche Bahn AG: Mut tut gut!
BDA AGENDA 14/22 | KOMMENTAR DER WOCHE | 21. Juli 2022
Die vergangenen zwei Jahre haben uns allen viel abverlangt. Die Krisen vervielfachen sich und fordern unser Konzept des Zusammenlebens auf ungewohnte Weise heraus. Mehr denn je sind wir gefordert, als Gesellschaft zusammenzuhalten. Doch wie kann das gelingen, wenn sich gesellschaftliche Spaltungstendenzen unter dem Brennglas der Pandemie verschärfen und Raum fehlt. Raum für Begegnung, Austausch und damit auch für gesunden Widerspruch.
Die Fragen unserer Zeit lassen sich nur beantworten, wenn wir Stellung beziehen und eine Haltung einnehmen, die den anderen immer mitdenkt: „Ich bin, weil wir sind“ (ubuntu - südafrikanische Lebensphilosophie). Haltung zeigen bedeutet für mich, eine klare und wertgebundene Position zu haben, diese öffentlich zum Ausdruck zu bringen und nach ihr zu handeln. Das zu tun, erfordert Mut.
Haltung zeigen ist der erste Schritt, doch das allein reicht nicht aus. Es gilt wieder zueinander zu finden, ein neues Bewusstsein aus der Krise entstehen zu lassen und zu handeln - auch und gerade in der Arbeitgeberrolle.
In diesen herausfordernden Zeiten, in denen verantwortungsvolles Handeln Dreh- und Angelpunkt ist, sind auch wir als Unternehmen in der Gestaltungspflicht. Die Rolle von Konzernen und Unternehmen ändert sich zunehmend in der gesellschaftlichen Debatte.
Diese Entwicklung möchte ich gern am Beispiel Vielfalt deutlich machen. Noch vor wenigen Jahren haben Konzerne Themen überwiegend danach gesetzt, was ihnen wirtschaftlichen Erfolg einbringt. Vielfalt wurde lediglich aus dem Blickwinkel betrachtet, dass innovative Teams erfolgreicher sind und somit zur höheren Produktivität eines Unternehmens beitragen. Heute spielt dagegen auch die Positionierung oder Haltung eines Konzerns eine wichtige Rolle. Für welche Themen steht ein Unternehmen, welche Werte verkörpert es und zu welchen Fragen bezieht es öffentlich Stellung. Positioniert sich ein Unternehmen deutlich gegen Rassismus? Lebt es Toleranz und Diversität? Und ist diese Haltung authentisch? Es geht nicht mehr allein um den „Business Case“, sondern ebenso um einen Wertekompass, der innerhalb der Unternehmen gelebt und nach außen klar kommuniziert wird.
Dieser Wertekompass bildet somit auch innerbetrieblich den Rahmen für Diskurs, denn Werte und Prinzipien sind anders einzustufen als Meinungen. Wir brauchen Bezugspunkte und Scharniere, an denen wir wertebasiert zusammenkommen und den eigenen „Echoraum“ im Diskurs mit Andersdenken zu erweitern.
Natürlich ist es „einfacher“, mit Menschen zu diskutieren, die grundsätzlich ähnliche Standpunkte wie ich selbst vertreten. So findet man immer wieder Bestätigung.
Doch häufig realisieren wir erst durch die Begegnung mit anderen Perspektiven, wofür wir eigentlich stehen.
Eine der großen Herausforderungen unserer Gesellschaft ist es doch, Brücken zu bauen. Das Gegenüber zu sehen und sich wirklich auf andere einzulassen, zuzuhören und die Haltung des anderen wirklich verstehen zu wollen. Verstehen bedeutet dabei nicht automatisch, einverstanden zu sein. Aber verstehen oder ernst nehmen sind Voraussetzungen für einen Diskurs, sozusagen die Basis für unser demokratisches Miteinander.
Diese Debatten machen nicht vor den Unternehmensgrenzen halt, sondern müssen auch da betrachtet und gestaltet werden. Dies ist ein Erfolgsfaktor für die Zukunft – gesellschaftlich wie unternehmerisch.
Mehr denn je gilt: Zukunft braucht Mut zur Haltung, Mut zum Diskurs und Mut zum Zusammenhalt. Die Verantwortung dafür liegt bei uns allen.