Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks : Zukunft braucht Können


BDA AGENDA 13/22 | KOMMENTAR DER WOCHE | 7. Juli 2022

Deutschlands Zukunftspläne können nur mit dem Handwerk gelingen. Denn das, was Politik auf dem Papier beschließt, setzen Handwerkerinnen und Handwerker in die Realität um. Daher ist die Fachkräftesicherung entscheidend für eine gelingende Zukunft.

Wir leben in Zeiten mehrerer aufeinanderfolgender und ineinandergreifender Krisen, die sich gegenseitig verstärken: Der brutale russische Überfall auf die Ukraine, die anhaltende Corona-Pandemie, gestörte Lieferketten und Materialengpässe, Inflation und eine ungewisse Energieversorgung.

In dieser Lage muss unser Land gleichzeitig große Transformationsleistungen vollbringen: Energiewende, Klimaschutz, Mobilitätswende, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und die Versorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung. Der Handlungsdruck hat sich durch die aktuellen Krisen noch massiv verstärkt.

Damit die Transformation gelingen kann, braucht es in Deutschland dringend Handwerkerinnen und Handwerker, die diese Vorhaben umsetzen: Menschen, die Solarpaneele einbauen und Ladesäulen für E-Autos installieren, die uns mit Brillen, Hörgeräten, Prothesen und Zahnersatz versorgen, die Bäder altersgerecht umbauen und vieles mehr. Also Menschen, die unser Land am Laufen halten und es gut für die Zukunft aufstellen.

Der fehlende Nachwuchs bei qualifizierten Fachkräften ist also nicht nur für das Handwerk, sondern für die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft eine große Herausforderung. Allein im Handwerk mit seinen 130 Berufen fehlen bereits jetzt über 250.000 Fachkräfte, und es werden in naher Zukunft noch mehr werden.

Ein Grund dafür ist, dass die Baby-Boomer in Rente gehen und weniger junge Menschen nachkommen, von denen sich der Großteil für ein Studium, statt für eine Ausbildung im Handwerk entscheidet. Letzteres, weil über Jahrzehnte hinweg das Studium als Königs-Bildungsweg propagiert wurde, der beruflichen Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung verspricht. Als Folge gilt eine Ausbildung bei vielen Menschen als Bildungsweg zweiter Klasse.

Wir haben es heute mit einer Über-Akademisierung zu tun, die am Bedarf von Wirtschaft und Gesellschaft vorbeigeht. Es ist höchste Zeit, sich von diesem Weg zu verabschieden, denn er hat dazu geführt, dass uns heute Hunderttausende qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker fehlen.

Daher brauchen wir nicht nur eine Klimawende und nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Bildungswende, hin zu mehr Wertschätzung der beruflichen Bildung und der berufspraktischen Arbeit. Nur so können wir alle anderen Wenden meistern.

Bildungswende bedeutet: In den Köpfen der Menschen muss ankommen, dass akademische und berufliche Bildung gleich wichtig sind – und auch gleichwertig behandelt werden müssen. Denn: Zukunft braucht Können!

Die Bildungswende muss sich aber auch finanziell widerspiegeln: Zusätzliche Entlastung für Ausbildungsbetriebe, zusätzliche Anreize für Auszubildende sowie Investitionen in moderne Berufsbildungsstätten sind wichtige Stellschrauben.

Das Handwerk möchte sich mit ganzer Kraft einbringen und beitragen zu einer gelingenden Transformation in Deutschland. Wir sind gerne Partner und Unterstützer der politischen Vorhaben. Aber klar ist: dafür brauchen wir mehr Menschen, die mit anpacken.