Wirtschaftliche Unabhängigkeit erfordert strategische Rohstoffpolitik


BDA AGENDA 09/24 | KOMMENTAR DER WOCHE | 8. Mai 2024

Terry Reintke, MdEP, Spitzenkandidatin Bündnis 90/Die Grünen für die Europawahl 2024

Wirtschaftspolitik ist heute auch Sicherheitspolitik. Besonders deutlich wird dies bei der Rohstoffpolitik. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, wie gefährlich einseitige Abhängigkeiten von autokratischen Regimen sind.

Neben Gas und Öl ist Europa auch bei vielen Metallen und Industriemineralien zu bis zu 100 Prozent von Importen abhängig – oftmals von China. Ein Exportstopp durch die chinesische Regierung oder ein bewaffneter Konflikt im Südchinesischen Meer würden kaum bezifferbare Schäden für die deutsche Wirtschaft verursachen.

Auch die schmerzhaften Störungen der Lieferketten durch die Corona-Pandemie oder die Angriffe der Huthis auf die Schifffahrt im Roten Meer haben gezeigt, wie wichtig eine Diversifizierung der Rohstoffquellen für die wirtschaftliche Unabhängigkeit Europas ist. Eine strategische Rohstoffpolitik ist zudem essentiell, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) wird sich der Bedarf an metallischen Rohstoffen allein für grüne Energietechnologien wie E-Autos oder Solarmodule bis zum Jahr 2040 vervierfachen.

Mit dem europäischen Critical Raw Materials Act (CRMA) haben wir einen großen Schritt für mehr Rohstoffsicherheit gemacht. Das Ziel des CRMA ist, dass nicht mehr als 65 Prozent der Importe kritischer Rohstoffe aus einem einzigen Drittstaat kommen dürfen. Nun müssen wir konkrete Maßnahmen ergreifen, um dieses Ziel zu erfüllen.

Unser Ansatz dafür basiert auf vier Säulen. Erstens müssen wir unsere Importe diversifizieren, etwa durch neue Rohstoffpartnerschaften mit rohstoffreichen Ländern wie Chile. Wir unterstützen zudem internationale Kooperationsformate wie die Minerals Security Partnership (MSP) und eine verstärkte Zusammenarbeit der G7 im Rahmen des Clubs für kritische Rohstoffe.

Zweitens wollen wir die Kreislaufwirtschaft entschlossen ausbauen und zu einem profitablen Geschäftsmodell weiterentwickeln. Das beginnt schon beim Entwerfen von neuen Produkten. Drittens können einige knappe Ressourcen durch Materialien mit gleicher Funktionalität und geringerer Umweltschädlichkeit ersetzt werden. So können wir etwa den Bedarf für Lithium durch den verstärkten Einsatz von Natrium-Ionen-Batterien reduzieren.

Für die Erhöhung der Versorgungssicherheit in der EU brauchen wir viertens auch mehr heimischen Bergbau von kritischen Rohstoffen und die Stärkung der Weiterverarbeitungskapazitäten in der EU. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die EU dies unter Einhaltung von hohen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards ambitioniert voranbringt. Beispielsweise kann durch Geothermiekraftwerke das Lithiumvorkommen im Oberrheingraben erschlossen werden – und gleichzeitig nachhaltiger Strom erzeugt werden.

Deutschland ist aus geopolitischen, wirtschaftlichen und nachhaltigen Gründen auf eine sichere Rohstoffversorgung angewiesen. Gemeinsam mit den europäischen Unternehmen wollen wir uns verstärkt für einen gesamteuropäischen Ansatz einer nachhaltigen und sozialverträglichen Rohstoffgewinnung einsetzen. Das ist in Deutschlands ureigenen Interesse.