Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU Deutschlands –

Deutschlands muss sein Geschäftsmodell neu erfinden


BDA AGENDA 17/22 | KOMMENTAR DER WOCHE | 1. September 2022

Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht vor gewaltigen strategischen Herausforderungen. Wenn unser Land auch in zehn Jahren zur Weltspitze zählen soll, müssen wir unser Geschäftsmodell neu definieren. Dazu braucht es eine langfristig orientierte und weitsichtige Energie-, Handels- und Wirtschaftspolitik.

Das bewährte Geschäftsmodell unseres Landes ist spätestens seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am Ende: Billiges Gas aus Russland, profitable Produktion in China, verästelte Wertschöpfungsketten aus aller Welt, teure Autos und Maschinen in alle Welt, und die Amerikaner zahlen für unsere Sicherheit – all das funktioniert jetzt nicht mehr.

Eine Lehre aus dem russischen Angriffskrieg ist, dass wir uns nie wieder in eine systemische wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Land begeben dürfen – insbesondere dann nicht, wenn dieses Land unseren demokratischen Wertvorstellungen fundmental widerspricht. Unser Anspruch muss zuallererst sein, die Energieversorgung für Deutschland krisenfest zu diversifizieren. Das bedeutet: Wir dürfen von nun an auf keine Option der Energieerzeugung im eigenen Land mehr verzichten. Wir können nicht weiter nur aussteigen, wir müssen im Gegenteil einsteigen, und das mit ganzer Kraft: In die erneuerbaren Energien, und zwar in alle Erneuerbaren, nicht nur in Wind und Sonne. Wir müssen die drei noch laufenden Kernkraftwerke am Netz lassen, noch besser: die drei im letzten Jahr stillgelegten wieder in Betrieb nehmen. Dafür muss Deutschland neue Brennstäbe bestellen, um zumindest für einen Übergangszeitraum die Kernenergie weiter zu nutzen. Wenn Frankreich das für 56 Kraftwerke schafft, dann sollte uns dies doch wohl für ganze sechs gelingen. Auf Zeit, nicht für immer.

Auch unsere Abhängigkeit von der Volksrepublik China gehört auf den Prüfstand. Sie ist zwar größer als die von Russland. Aber sie ist nicht so einseitig wie bei russischem Gas. China braucht auch umgekehrt den Handel mit Europa und den USA. Trotzdem kann man deutschen Unternehmen nur empfehlen, spätestens jetzt ihre China-Strategie zu überprüfen. China ist kein Rechtsstaat nach unseren Vorstellungen, privates Eigentum genießt dort keinen Schutz, der Staatseinfluss kann jederzeit beliebig weiter hochgefahren werden. Und die geostrategischen Ambitionen Chinas sollten uns Ansporn sein zu größerer eigner Souveränität.

Die USA sind und bleiben zumindest auf Zeit der wichtigste Absatzmarkt für Deutschland. Ein neues Handelsabkommen mit den USA oder zumindest zu den Zollfragen liegt im beiderseitigen Interesse. Dringend geboten ist zudem, die Handelsabkommen mit Kanada und den Mercosur-Staaten schnellstmöglich abzuschließen.

Schließlich müssen wir auch bei uns die Hausaufgaben erledigen. Deutschland muss vom Hochsteuerland zu einem attraktiven Steuerstandort werden. Weltspitze bei der Steuerbelastung und Weltspitze bei der Wettbewerbsfähigkeit passen nicht zusammen – das gilt ganz besonders für die Unternehmensbesteuerung. Der dramatische Arbeitskräftemangel muss gelindert werden. Wir brauchen eine Fachkräfteoffensive, die ihren Namen verdient. Dazu sollte die berufliche Ausbildung gestärkt, Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert und Beschäftigungspotenziale aus dem In- und Ausland gehoben werden. Und schließlich der Evergreen: Wann endlich beginnt der Abbau überflüssiger Bürokratie ebenso wie die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für alle Investitionen, nicht nur für die Windkraft?  Es gibt viel zu tun. Aber in jeder Krise liegt auch eine Chance.