Elke Hannack, stellvertretende Bundesvorsitzende des DGB: Wir brauchen einen Kulturwandel für die Weiterbildung
BDA AGENDA 15/22 | KOMMENTAR DER WOCHE | 4. August 2022
Wir brauchen einen Kulturwandel, um Weiterbildung für Betriebe und Beschäftigte in der Transformation einfacher und gangbarer zu machen. Eine verlässliche Architektur lebensbegleitenden Lernens muss diesen Kulturwandel unterstützen.
Ob Klimaneutralität, Digitalisierung oder neue globale Kräfteverhältnisse: Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft werden sich in den kommenden Jahrzehnten drastisch verändern und am Arbeitsmarkt für immense Verschiebungen sorgen. Wenn Unternehmen in dieser Transformation bestehen wollen, brauchen wir nichts weniger als einen Kulturwandel von Arbeitgebern und Beschäftigten. Konkret geht es zum einen um Sicherung von Beschäftigung durch Qualifizierung und Weiterbildung, zum anderen aber auch um die Ermöglichung von beruflicher Weiterentwicklung der Beschäftigten. Das sind zwei Seiten derselben Medaille.
Bislang fehlt es dafür an Kultur, an Selbstverständlichkeit. Denn gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen mangelt es häufig an strategischer Personalplanung, ohne die es keine vernünftige Qualifizierungsplanung und damit keine ernsthaften Weiterbildungsaktivitäten im Betrieb gibt. Dort müssen wir – gemeinsam – ansetzen: bei der Ausgestaltung betrieblicher Weiterbildung, bei der es um eine bessere Kooperation von Management und Betriebsräten geht. Dass es funktionieren kann, zeigt die steigende Anzahl an Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Weiterbildung deutlich.
Auch die Initiativen zu Weiterbildungsverbünden und im Rahmen der Sozialpartnerrichtlinie „Wandel der Arbeit sozialpartnerschaftlich gestalten“ können dazu beitragen, Weiterbildung für Betriebe und Beschäftigte einfacher, gangbarer und selbstverständlicher zu machen. Das gilt auch für die Transformationslotsen und die gewerkschaftlichen Weiterbildungsmentor*innen. Unsere sozialpartnerschaftliche Aufgabe ist es, über die beteiligten Unternehmen und Branchen hinaus Potenziale und Interesse für mehr Weiterbildung zu wecken, um letztlich die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu verbessern und die berufliche Handlungskompetenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erhalten und dauerhaft zu fördern.
Angesichts der Herausforderung der Transformation brauchen wir aber auch eine verlässliche Architektur lebensbegleitenden Lernens. Hier ist die Politik gefragt, und sie ist nicht abgeneigt, wie die Lektüre des Koalitionsvertrags zeigt. Angesichts des Fachkräftemangels kann es sich unsere Gesellschaft nicht leisten, Weiterbildung von Beschäftigten bis zur Arbeitslosigkeit aufzuschieben. Der Ausbau der Weiterbildungsförderung ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, damit Beschäftigte sich im Strukturwandel proaktiv weiterbilden und sich auch vor perspektivischer Arbeitslosigkeit schützen zu können. Dafür muss der Lebensunterhalt der Beschäftigten während der Weiterbildung ausreichend abgesichert werden. Denn sonst werden viele Beschäftigte und insbesondere Geringverdiener*innen aufgrund von Einkommensverlusten nicht das Risiko eingehen, eine Weiterbildung aufnehmen.
Wir brauchen aber auch perspektivisch Regeln, damit Beschäftigte Zeit für Weiterbildung beanspruchen können, ohne dass Unternehmen damit überfordert werden. Ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch zum Zwecke der Weiterbildung ist deshalb unumgänglich.