Wer politischen Fortschritt will, braucht belastbare Bündnisse

BDA AGENDA 09/25 | KOMMENTAR DER WOCHE | 5. Mai 2025
Dr. Nico Fickinger, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände für MV e.V., Hauptgeschäftsführer Nordmetall e.V.
Unlängst zeigte ein Cartoon im “Hamburger Abendblatt” eine Reporterin, die einen kirchlichen Würdenträger fragt, ob der neue Papst geschwächt sei – weil er nicht im ersten Wahlgang gewählt wurde. Ein absurder Gedanke. Genau das Gegenteil gilt für die Debatte um die Kanzlerwahl: Die Tatsache, dass Abgeordnete aus den Reihen von Union und SPD ihrem eigenen Kandidaten im ersten Wahlgang die Unterstützung verweigerten, ist kein Ausdruck innerparteilicher Meinungsvielfalt, sondern ein politisches Eigentor. Sie haben Vertrauen verspielt – bei Partnern im In- und Ausland, in der Wirtschaft und bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Gerade jetzt, in Zeiten multipler Krisen, braucht das Land eine Regierung, auf deren Stabilität und Verlässlichkeit man vertrauen kann. Wer Investitionen anstoßen will, Fachkräfte ins Land holen muss oder internationale Zusammenarbeit sucht, der erwartet Berechenbarkeit – und keine Koalition, die sich im Moment der Entscheidung selbst das Bein stellt. Wirtschaftlicher Erfolg entsteht nicht im politischen Vakuum, sondern durch klare Regeln, tragfähige Mehrheiten und einen Kurs, der auch morgen noch gilt.
Dass der Kanzler erst im zweiten Anlauf gewählt wurde, macht ihn nicht zu einer „zweiten Wahl“. Aber es ist ein Hinweis darauf, dass politische Führungsfähigkeit in dieser Legislaturperiode kein Selbstläufer sein wird. Die Fraktionen sind heterogener, die Interessen kleinteiliger, die Kompromisslinien brüchiger geworden. Das muss man ernst nehmen – aber man darf es nicht verklären. Koalitionen sind kein unverbindlicher Debattierklub. Sie müssen liefern. Und wer einen Führungsanspruch erhebt, muss dafür sorgen, dass seine Truppe steht – gerade dann, wenn es schwierig wird.
Vielleicht war dieser erste Riss in der Fassade der Koalition ein notwendiger Weckruf: Die Mehrheit im Bundestag ist kein Automatismus. Wer diese Lehre ignoriert, riskiert, dass am Ende Blockade statt Gestaltung steht – mit allen negative Folgen für Wirtschaft, Wohlstand und Zusammenhalt. Umso wichtiger wäre es jetzt, das Bild zu korrigieren: mit klaren Botschaften, verlässlichen Entscheidungen und einem Regierungsstil, der Vertrauen zurückgewinnt, statt es weiter zu gefährden.
Die Fähigkeit zum Kompromiss ist keine Schwäche, sondern Ausdruck politischer Reife. Gerade 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gilt: Demokratie bedeutet nicht, eigene Positionen ohne Abstriche durchzusetzen – sondern Brücken in andere Lager zu bauen und gemeinsame Interessen zu definieren. Sozialpartner wissen das seit Jahrzehnten. Wer blind auf den eigenen Vorteil schaut, gefährdet das Ganze. Politischen Fortschritt gibt es nur durch Schulterschluss und Zusammenhalt, mit belastbaren Bündnissen nach außen und innen.