Transformation - Zeit zu handeln


BDA AGENDA 11/23 | KOMMENTAR DER WOCHE | 01. Juni 2023

Dr. Kai Beckmann
Mitglied der Geschäftsleitung & CEO Electronics der Merck KGaA und Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC)

In unserem Alltag wird die Transformation immer greifbarer – ob bei der Entscheidung für ein neues Auto (elektrisch oder Verbrenner?), bei der Entscheidung für eine neue Heizung oder auch bei der Diskussion in der Familie über eine zukunftsfähige Ausbildung in Zeiten von KI. Was der Umbruch für die Chemie-Branche und die Anforderungen an unsere Beschäftigten bedeutet, haben wir im Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) gemeinsam mit der Boston Consulting Group (BCG) untersucht.

Das wichtigste Ergebnis unserer Studie „Chemie-Arbeitswelten 2030“: Der Pfad ist nicht vorgegeben, Unternehmen und Politik können gemeinsam daran arbeiten, die Weichen richtig zu stellen. Aber sie müssen es auch tun, und zwar innerhalb der nächsten beiden Jahre. In dieser Zeit entscheidet sich, ob wir als Branche eher schrumpfen, stagnieren oder wachsen können.
Wenn die Transformation gelingt, wird die Chemie bis 2030 etwa 25.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen können – ein Plus von sechs Prozent. Gelingt der Umbruch nicht, droht im schlimmsten Fall ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs bis 2030 um über 60.000 FTEs (15 Prozent).

Über alle Szenarien hinweg werden kaufmännische und Labor-Berufe weniger nachgefragt; massive Engpässe treten bei Profilen mit IT- und Nachhaltigkeitsschwerpunkt auf – allein im IT-Bereich werden bis 2030 bis zu 9.000 zusätzliche Fachkräfte gebraucht.
Die Transformation erfordert zusätzliche hochspezialisierte Profile, die bisher in der Chemie nicht oder nur wenig vertreten sind. Um diese zu gewinnen, muss die Branche attraktiver und viel erfolgreicher im Wettbewerb um Talente werden.
Die Weichen für Erfolg oder Misserfolg werden bis 2025 gestellt – einerseits durch politische Entscheidungen, andererseits durch Maßnahmen der Unternehmen.

Die Politik kann und muss durch verbesserte Rahmenbedingungen Einfluss nehmen. Neben wettbewerbsfähigen Energie- und Rohstoffkosten und guter Infrastruktur braucht es insbesondere ein modernes Arbeitszeitrecht, mehr Vermittlung digitaler Kompetenzen schon in der Schule und mehr qualifizierte Zuwanderung, die konsequent am Arbeitsmarkt ausgerichtet ist.
Neben den politischen Rahmenbedingungen braucht es von den Unternehmen mutige Initiativen, um die Attraktivität der Branche weiter zu steigern. Die Unternehmen müssen sich mit klarer Arbeitgeber-Marke, flexiblen Arbeitsmodellen (besonders in der Produktion) sowie zeitgemäßer Kommunikation und Führungskultur attraktiv positionieren, um Talente zu gewinnen und zu halten.

In welchem Szenario sich die Branche im Jahr 2030 tatsächlich wiederfinden wird, ist ungewiss. Der Weg ist keineswegs vorgezeichnet. Es ist eine aktive Entscheidung, das Szenario „Fortschritt“ anzustreben. Wenn die Weichen jetzt richtig gestellt werden, kommen wir auf einen Pfad, der gut ist für die Beschäftigten, gut für die Industrie und gut für den Standort Deutschland.

Hier geht es zur BAVC-Transformationsstudie: „Chemie-Arbeitswelten 2030“