Die Sozialsysteme und die Arbeitsbedingungen in der EU gehören zu den besten weltweit. Die Mitgliedstaaten sind in erster Linie für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zuständig, die EU darf nur unterstützend tätig werden. Die EU-Gesetzgebung braucht hier eine Kurskorrektur: Es besteht kein Bedarf an zusätzlicher EU-Regulierung in der Sozialpolitik.
Soziale Dimension Europas
Der Wohlstand Europas hängt auch von gelungener europäischer Integration ab – und die soziale Dimension Europas ist ein wichtiger Teil davon. Die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme der Mitgliedstaaten reflektieren die nationalen und lokalen Gegebenheiten und sind daher höchst unterschiedlich. Deshalb kommt der EU in genau festgelegten Bereichen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nur eine unterstützende und ergänzende Aufgabe zu.
In manchen Kernbereichen, wie etwa die Grundprinzipien und das finanzielle Gleichgewicht der nationalen sozialen Sicherungssysteme, darf sie laut den EU-Verträgen gar nicht tätig werden. Die EU muss also in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik die Subsidiarität streng beachten. Das Ziel starker Arbeitsmärkte und Sozialsysteme eint Europa – die Wege dorthin dürfen aber nicht zentral vorgegeben werden, sondern brauchen maßgeschneiderte nationale Lösungen. Deshalb muss die soziale Dimension Europas vor allem durch bessere Koordinierung der nationalen Maßnahmen erreicht werden, beispielsweise im Rahmen des Europäischen Semesters.
Europäische Säule sozialer Rechte
Die EU-Institutionen haben im Jahr 2017 eine Europäische Säule sozialer Rechte (ESSR) mit 20 Grundprinzipien proklamiert. Trotz des nicht rechtsverbindlichen Charakters ist es in den letzten Jahren immer wieder dazu gekommen, dass die Säule als Legitimationsgrundlage für mehr EU-Gesetzgebung in der Sozialpolitik oder als sozialpolitisches Arbeitsprogramm gesehen wird. Die konkreten Gesetzgebungsvorschläge zur Umsetzung der ESSR drohen die ausgewogene Balance zwischen den Kompetenzen der EU und der Mitgliedstaaten zu kippen: Viele Prinzipien der Säule verwischen, wer konkret zuständig ist und wo die EU laut den Verträgen Kompetenzen hat.
Im Rahmen des Aktionsplans zur Umsetzung der ESSR hat die EU-Kommission im März 2021 neue Kernziele für die EU festgelegt: eine hohe Beschäftigungsquote (78 %), eine höhere Teilnahme an Weiterbildung (60 %) und die deutliche Reduzierung der Armutsgefährdung (15 Mio. weniger). Basierend auf den EU-Kernzielen haben auch Mitgliedstaaten eigene nationale Ziele definiert. Der Schlüssel zur Weiterentwicklung der sozialen Dimension Europas liegt aber nicht in einer Implementierung abstrakter nationaler Ziele aus europapolitischen Vorgaben, sondern bei geeigneten Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner.