Frauen und Männer zeigen noch immer ein sehr unterschiedliches Berufswahl- und Erwerbsverhalten, was sich auf Karriere und Einkommen auswirkt. Deshalb ist das Durchschnittsgehalt aller Frauen in Deutschland 20 % geringer als das aller Männer (Stat. Bundesamt, 2020). Aufgrund dieser Zahl wird der Mythos genährt, Frauen würden aufgrund ihres Geschlechts geringer bezahlt. Dieser Diskriminierungsvorwurf ist falsch. Stattdessen sind viele strukturelle Ursachen für die Einkommenssituation von Frauen verantwortlich.
Berufswahl- und Erwerbsverhalten von Frauen und Männern unterscheidet sich immer noch
Bei der Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Entgeltunterschiede wird das durchschnittliche Gehalt aller Arbeitnehmerinnen mit dem aller Arbeitnehmer verglichen, also beispielsweise eine Berufseinsteigerin im Einzelhandel in Mecklenburg-Vorpommern mit einem Geschäftsführer in der Metall- und Elektroindustrie in Bayern. Qualifikation, Berufserfahrung, Tätigkeit, Branche, Arbeitszeit usw. werden nicht berücksichtigt. Die veröffentlichten gesamtwirtschaftlichen Entgeltunterschiede beruhen daher nicht auf einem Vergleich von Entgelten von Männern und Frauen im selben Betrieb, mit vergleichbarer Qualifikation und bei derselben Tätigkeit.
Das Erwerbsverhalten von Frauen und Männern unterscheidet sich nach wie vor erheblich. Frauen und Männer sind z. B. in den einzelnen Branchen und Berufen sowie auf den Hierarchiestufen sehr unterschiedlich vertreten. Deutliche Unterschiede gibt es auch bei der individuellen Berufserfahrung. Diese Faktoren erklären auch, warum z. B. nicht alle Beschäftigten der gleichen Berufsgruppe das gleiche Gehalt erhalten. Ein Krankenpfleger auf einer Intensivstation mit fünfzehn Jahren Berufserfahrung verdient z. B. deutlich mehr als eine Krankenschwester auf einer normalen Krankenhausstation und mit nur drei Jahren Berufserfahrung.
Nach Abzug der vom Statistischen Bundesamt berücksichtigten Ursachen für Entgeltunterschiede, wie Arbeitszeit, Bildungsstand oder Dauer der Betriebszugehörigkeit, bleibt ein bereinigter Entgeltunterschied von 6 % (Stat. Bundesamt, 2020).
Eine klischeefreie Studien- und Berufsberatung ist nötig
Frauen sind überdurchschnittlich oft in Branchen und Berufen mit niedrigem Vergütungsniveau bzw. geringeren Qualifikationserfordernissen tätig. Hierzu zählen vor allem Tätigkeiten im Bereich einfacher Dienstleistungen.
Eine breitere Nutzung des Berufs- und Studienwahlspektrums würde gesamtwirtschaftliche Entgeltunterschiede verringern: Die TOP 5 der Berufswünsche von Mädchen aus dem breiten Spektrum der fast 330 Ausbildungsberufe sind immer noch medizinische Fachangestellte, Bürokauffrau, Verkäuferin und Kauffrau im Einzelhandel sowie Zahnmedizinische Fachangestellte (
). Auch die Studienfachwahl ist noch geschlechtsspezifisch geprägt. In den besonders zukunftsträchtigen und später oft mit höher dotierten Jobs verbundenen Fächern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (sog. MINT-Fächer) sind Frauen deutlich seltener vertreten: Der Frauenanteil unter den erwerbstätigen MINT-Akademikern lag im Jahr 2017 bei 22 %, der Anteil unter den
Eine bessere Studien- und Berufsberatung, die auch über Verdienstchancen aufklärt und mehr Frauen für MINT-Berufe begeistert, ist dringend notwendig. Die Initiative klischee-frei.de mit der gleichnamigen Website ist ein erster Schritt zu einer Studien- und Berufsberatung, die frei von Rollenklischees ist.
Initiative Klischee-frei
Die Wirtschaft unterstützt die Initiative klischee-frei. Junge Menschen sollen das gesamte Berufsspektrum in den Blick nehmen und sich nicht davon leiten lassen, was vermeintliche Frauen- oder Männerberufe sind. Viele junge Frauen entscheiden sich nach wie vor für Ausbildungsberufe und Studiengänge, die nur begrenzte Verdienstchancen bieten. Wir wollen das ändern und damit auch dazu beitragen, dass die noch bestehenden Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern geringer werden.
Eine funktionierende Kinderbetreuungsinfrastruktur trägt zur Verringerung der Entgeltlücke bei.
In Ostdeutschland werden über die Hälfte der Kinder unter drei Jahren in einer Tageseinrichtung oder Tagespflege betreut, in Westdeutschland lediglich ein Drittel (
). Dies trägt dazu bei, dass erwerbstätige Frauen in den neuen Ländern häufiger in Vollzeit arbeiten als Frauen in Westdeutschland. Der gesamtwirtschaftliche unbereinigte Entgeltunterschied liegt im Osten deshalb bei lediglich 7 %, während er im Westen 21 % beträgt (
Die gute Betreuungssituation erleichtert Frauen eine umfangreiche Erwerbstätigkeit und damit den beruflichen Aufstieg: In Ostdeutschland ist der Frauenanteil in den Führungspositionen sowohl auf der ersten Führungsebene als auch auf der zweiten höher als in Westdeutschland (
). Auf der zweiten Führungsebene sind Frauen in Ostdeutschland ihrem Beschäftigtenanteil mit 45 % entsprechend repräsentiert.
Die Arbeitgeber setzen sich seit Langem dafür ein, die Rahmenbedingungen für mehr Vollzeit- bzw. vollzeitnahe Beschäftigung zu verbessern. Dafür sind flankierend insbesondere der weitere Ausbau von hochwertigen, bedarfsgerechten und bezahlbaren Ganztagskindertagesstätten und Ganztagsschulen sowie die vollständige steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten erforderlich.
Teilzeitarbeit und Erwerbsunterbrechungen bremsen Karrieren
Wer weniger arbeitet, erwirbt weniger berufliche Erfahrung und Kenntnisse und hat damit schlechtere berufliche Karriere- und Verdienstchancen. Reduzierte Arbeitszeiten und häufigere Erwerbsunterbrechungen sind daher ein wesentlicher Grund dafür, dass Frauen weniger weit aufsteigen und entsprechend weniger verdienen. 47 % aller erwerbstätigen Frauen in Deutschland arbeiten in Teilzeit (Eurostat, 2020), bei den Müttern sind es rund 70 % (Stat. Bundesamt, 2020).
Finanzielle Anreize gegen die Aufnahme einer Arbeit bzw. für eine Arbeit in nur geringem Umfang sollten beseitigt werden z. B. Steuerklasse III und V. Als steuerliche Entlastung sollten erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten im Rahmen steuerlicher Höchstgrenzen vollständig abzugsfähig sein.
Gleiche Arbeit beim gleichen Arbeitgeber wird gleich bezahlt
Wenn Frauen beim gleichen Arbeitgeber die gleiche Arbeit leisten wie ein Mann, dann werden sie auch gleich entlohnt. Das ist nicht nur betriebliche Praxis, sondern wird darüber hinaus auch nach Recht und Gesetz verlangt.
Tarifvertraglich geregelte Eingruppierungsverfahren gewährleisten die gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit.
Eine branchenübergreifende Bewertung von Tätigkeiten als gleichwertig ist in keinem Fall möglich. Gesetzliche Reglementierungen zur Arbeitsbewertung würden betriebs- und branchenspezifischen Besonderheiten nicht gerecht und wären ein Eingriff in die Tarifautonomie.
Teamassistenz | Walter-Raymond-Stiftung / Institut für Sozial- und Wirtschaftspolitische Ausbildung Team Assistant | Walter Raymond Foundation / Institute of Societal and Social Policy Training