Sozialsysteme zukunftsfest machen


BDA AGENDA 20/21 | Thema der Woche | 9. September 2021

Der Wahlkampf der Parteien geht in die Endphase. Gerade jetzt ist es an den Parteien, auf die dringlichsten Fragen, nämlich wie wir unsere Sozialsysteme zukunftsfest machen können, Antworten zu geben. Hier zeigt sich: Einige Vorschläge aus den Wahlprogrammen der Parteien würden dem Sozialstaat bei ihrer Umsetzung schaden, anstatt ihm Stabilität für die Zukunft zu verleihen.

Eine der größten Herausforderungen stellt zweifelsohne der demografische Wandel dar. Die Alterung der Gesellschaft ist offensichtlich und wird in den kommenden Jahren zunehmend spürbar werden. Die geburtenstarken Jahrgänge scheiden aus dem Arbeitsleben aus, während immer weniger Jüngere immer mehr Älteren gegenüberstehen. Laut Statistischem Bundesamt könnten wir im Jahr 2030 mehr über 65-jährige als unter 20-jährige Erwerbspersonen in Deutschland haben. Dabei werden auch unsere Sozialsysteme in den nächsten Jahren an ihre Grenzen stoßen. Deutschland hat bereits heute besonders hohe Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter. Von den durchschnittlichen Bruttoarbeitskosten für einen alleinstehenden Durchschnittverdienenden ohne Kinder (62.460 Euro) kam netto nach OECD-Berechnungen nur knapp mehr als die Hälfte bei den Beschäftigten an. Mit dieser Differenz zwischen Arbeitskosten und Nettolöhnen von 49 Prozent liegt Deutschland weit über dem OECD-Durchschnitt von 35 Prozent.

Der überwiegende Teil des deutschen Sozialstaats wird über lohnbezogene Sozialbeiträge finanziert. Derzeit addieren sich die Beitragssätze in der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung bereits auf 39,95 Prozent. Sie liegen damit nur noch knapp unter der im Koalitionsvertrag zugesicherten 40-Prozent-Marke.

Die einseitig lohnbezogene Finanzierung des deutschen Sozialstaats ist der entscheidende Grund, dass der Faktor Arbeit in Deutschland so hoch mit Abgaben belastet wird wie in kaum einem anderen Land.

Steigende Sozialversicherungsbeiträge gehen zu Lasten von Wachstum und Beschäftigung. Mit einem Anstieg der Sozialversicherungsbeitragslast wird der Faktor Arbeit immer teurer – doch damit verliert Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit und an Attraktivität als Arbeitsplatzstandort. Es ist daher zentral, die 40-Prozent-Grenze bei den Sozialversicherungsbeiträgen dauerhaft verlässlich festzuschreiben. Auch ohne weitere Leistungsausweitungen drohen vielmehr in allen Sozialversicherungszweigen in den nächsten Jahren deutliche Beitragssatzsteigerungen. Ein Anstieg der Beitragssätze auf 43 Prozent bis Ende der kommenden Legislaturperiode ist hierbei durchaus wahrscheinlich.

Umso mehr muss es jetzt gelten, zügig und entschlossen die notwendigen Reformen anzugehen, damit die Sozialbeiträge auch in den nächsten Jahren nicht über 40 Prozent steigen. Dieser Aufgabe wird sich jede neue Regierungskoalition stellen müssen. Deshalb brauchen wir jetzt einen Ideenwettbewerb der Parteien, um tragfähige Zukunftskonzepte für die Sozialversicherung zu sichern. Die Arbeitgeber haben bereits vorgelegt und mit den Vorschlägen einer von ihnen einberufenen Kommission aufgezeigt, wie die Sozialversicherungen auch auf Dauer bezahlbar und leistungsfähig bleiben können. Mit Sicherheit gibt es auch andere gute Wege, dieses wichtige Ziel zu erreichen. Klar ist jedoch, dass es hierfür Handlungswillen und Reformen bedarf – und zwar jetzt.