Gut gemeint, schlecht gemacht: Der Entwurf der EU-Richtlinie zur Plattformarbeit


BDA AGENDA 7/23 | KOMMENTAR DER WOCHE | 6. April 2023

Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard),
Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn

Der Entwurf einer Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit ist vor wenigen Wochen vom Europaparlament angenommen worden. Er soll nach dem Willen der Kommission durch Förderung von Transparenz und die korrekte Bestimmung des Arbeitnehmerstatus dazu beitragen, dass Plattformarbeiter in der EU künftig besser sozial abgesichert sind und ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Das Ziel, das die geplante EU-Richtlinie verfolgt, ist sicherlich nicht falsch. Die technische Entwicklung darf nicht zur Aushöhlung arbeitsrechtlicher Schutzstandards führen. Veränderte Zeiten brauchen manchmal verändertes Arbeitsrecht.

Doch gut gemeint ist nicht gut gemacht. Die Auswirkungen wären weitreichend – und verfehlt. Kernelement des Vorschlags ist es, dass Personen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, leichter in den Schutz des Arbeitsrechts kommen. Dafür enthält der Richtlinienentwurf eine Liste von Kontrollkriterien, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob es sich bei der Plattform um einen "Arbeitgeber" handelt. Es wird im Sinne einer widerlegbaren Vermutung davon ausgegangen, dass die Plattform tatsächlich ein Arbeitgeber ist, und nur wenn die Kontrollkriterien nicht erfüllt sind, ist die Vermutung widerlegt.

Dieses Konzept ist in zwei Richtungen schlicht übergriffig und verfehlt. Das liegt zunächst am Bezugspunkt der Vermutung. Plattformbeschäftigter oder Plattformbeschäftigte ist nach der Definition des Entwurfs "jede Person, die Plattformarbeit leistet und nach den Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten einen Arbeitsvertrag hat oder in einem Arbeitsverhältnis steht, wobei die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen ist". Es wird also nicht schlicht auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff abgestellt, sondern auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Die Folge ist offensichtlich: Durch die Richtlinie würde für Plattformarbeit der deutsche Arbeitnehmerbegriff abgelöst durch einen europäischen Begriff. Dafür fehlt Europa die Kompetenz, denn dadurch entstünde eine Regelung, die sich in den verschiedenen Staaten ganz ungleich auswirkt: Der deutsche Plattformarbeitnehmer kraft Europarecht hat den Schutz des gesamten deutschen Arbeitsrechts, der niederländische Arbeitnehmer den Schutz des niederländischen Arbeitsrechts.

Es geht nicht um die Sicherung europäischer Mindeststandards, sondern die Einbeziehung bestimmter Arbeitnehmergruppen in das jeweils unterschiedliche nationale Arbeitsrecht. Die Folgen sind also in den verschiedenen Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche und das ist mit dem Grundsatz der Subsidiarität nicht zu vereinbaren. Und wenn man es dennoch bei der Plattformarbeit zulassen würde: Warum nicht im Arbeitsrecht insgesamt? Die Folgen wären weitreichend, weil dies einen grundlegenden Perspektivenwechsel mit sich bringen würde. Das Arbeitsrecht den Arbeitnehmern - aber die Definition, wer Arbeitnehmer ist, muss in der Hand des nationalen Gesetzgebers und der nationalen Gerichte.

Unglücklicher aber noch ist die darauf bezogene Vermutungsregelung. Mit solchen Regeln hatten wir in der Vergangenheit schlechte Erfahrung gemacht. Es gab sie in den 90er Jahren im Sozialrecht, und man hat sie dann schnell wieder abgeschafft, weil sie zu grob waren und zu Fehlergebnissen führten. Diese sind aber auch durch die im Entwurf genannten Kriterien vorprogrammiert. Die umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, die das deutsche Arbeitsrecht verlangt und immer verlangt hat, ist damit nicht vereinbar. Zu Recht hatte man im Jahr 2017 bei Normierung des Arbeitnehmerbegriffs im Bürgerlichen Gesetzbuch auf solche - ursprünglich im Referentenentwurf enthaltenen Vermutungsregeln - verzichtet.

Was es noch unerfreulicher macht: Die Kriterien sind verfehlt in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung. Für eine Arbeitnehmereigenschaft soll es zum Beispiel sprechen, wenn im zugrundeliegenden Vertrag der Einsatz von Subunternehmen eingeschränkt wird. Genehmigungsvorbehalte im Hinblick auf Nachunternehmer haben Sie in nahezu jedem Vertrag im IT-Bereich, und das ist zuweilen auch gut so, weil es für eine ordnungsgemäße Compliance erforderlich ist.

Gleiches gilt für Wettbewerbsverbote und Kundenschutz, die ebenfalls Indiz für Scheinselbständigkeit sein sollen. Das Ganze ist zu grob gestrickt. Weitere Beispiele machen deutlich: Hier wird Arbeitnehmerschutz am grünen Tisch gemacht und die Wirklichkeit von Plattformarbeit weitgehend ausgeblendet. Geht man trotzdem diesen Weg: Warum dann nicht auch außerhalb der Plattform-Ökonomie? Den ersten Schritten in die falsche Richtung würden weitere folgen.

Prüfet alles und behaltet das Gute, mahnt der Apostel Paulus die Gemeinde von Thessaloniki. Das heißt aber auch: Vom nicht so Guten sollte man sich eben schnell trennen.