Projekt Lightspeed für die Gesundheitspolitik


BDA AGENDA 8/23 | KOMMENTAR DER WOCHE | 24. April 2023

Prof. Dr. Andrew Ullmann MdB,
gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

Wenn wir jetzt nicht schleunigst unser Gesundheitssystem reformieren, kann es zu einer Sogwirkung kommen, in dessen Strudel Gesellschaft und Wirtschaft nach unten gezogen werden. Die Mängel sind bekannt. Deshalb brauchen wir in vielen Bereichen zukunftsfeste, resiliente Strukturreformen. Dafür müssen wir unseren schneckenhaften Koloss Gesundheitssystem mit einem Lightspeed-Turbo versehen. Ansonsten droht Deutschland als geriatrischer Fall Europas nur noch die Behandlung auf der Palliativstation.

Zuvorderst sind als Handlungsbereiche die Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung zu nennen. Beide Finanzierungssysteme leiden unter dem Missverhältnis von demographischem Wandel und Umlagefinanzierung. Einer stetig wachsenden Zahl von älteren und morbideren Menschen stehen immer weniger jüngere Finanzierer gegenüber. Umlagebedingte Steigerungen der Beiträge schaden Arbeitnehmern, Arbeitgebern und der Gesamtwirtschaft. Deshalb ist es in diesen Bereich unabdinglich, Effizienzpotenziale auszuschöpfen, Kosten durch Prävention und Gesundheitskompetenz zu senken und die Kapitaldeckung als Mittel der Wahl zu fördern.

In diesem Bereich sind auch ausdrücklich die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefordert. Die Wissenschaft zeigt, dass unter Druck in der Arbeitswelt keine Diamanten entstehen, sondern dass unter Druck sich Fehler häufen und die Gesundheit leidet. Das wiederum führt zu Fehltagen und zu weiterem Druck auf die verbliebenen Arbeitskräfte, deren Gesundheit dann wieder betroffen ist. Aber auch eine Schonhaltung auf Seiten der Arbeitnehmer kann nicht die Zukunft sein. In der Medizin ist seit langer Zeit schon ein Wandel zu sehen. Nicht mehr das Schonen ist oft der beste Weg zur Heilung, sondern das Aktivieren. Wir brauchen in der Arbeitswelt ein Optimum zwischen Anforderungen und Erholung, um ein gesundes Arbeitsumfeld zu bekommen und wir brauchen betriebliche Präventionsmaßnahmen. Nur so verhindern wir Fehltage, langfristige Erkrankungen, erhalten die Produktivität und vermeiden unnötige Krankheitskosten.

Ebenfalls entscheidend für die Zukunft wird sein, ob wir es schaffen, die Krankenhausstruktur nachhaltig zum Besseren zu wenden. Eine optimierte Krankenhauslandschaft kann langfristig Kosten einsparen, Arbeitskräfte zufriedener machen, Patienten besser behandeln, aber auch CO2-Emmissionen reduzieren und damit zu einer gesunden Gesellschaft beitragen.

Nicht zuletzt wäre ein Projekt Lightspeed fürs deutsche Gesundheitssystem ohne Digitalisierung nur schwer zu denken. Die Potenziale sind hinlänglich bekannt, die Umsetzungsprobleme leider ebenfalls. Die Bundesregierung hat hier mit Volker Wissing und Karl Lauterbach die richtigen Ziele gesetzt, jetzt gilt es, diese auch mit Warp-Geschwindigkeit zu erreichen.

Wenn wir die Frage beantworten wollen, wie gesund Deutschland ist bzw. bleibt, dann können wir das nur, wenn wir Krankheitslast in der Gesellschaft und die Kosten des Gesundheitssystems betrachten und daraus die Optimierungsmöglichkeiten entwickeln. Diese Möglichkeiten müssen wir in einem Projekt Lightspeed für das gesamte System umsetzen. Für mich würde sich dann zeigen, ob wir ein gesundes System hinbekommen haben, wenn der Gesundheitszustand sich positiv entwickelt und die Krankheitslast bei gleichbleibenden Kosten sinkt.