Tarifautonomie sichern – Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie mit Augenmaß nötig
Kernforderungen zur Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie
Mai 2025
Zusammenfassung
Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie (EU 2023/970) verfolgt das Ziel, Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern weiter zu stärken. Tarifverträge garantieren bei gleicher Arbeit, dass Frauen und Männer beim gleichen Arbeitgeber gleich entlohnt werden. Die Vergütungssysteme der Tarifverträge sind fair, diskriminierungsfrei und transparent. Tarifverträge sind daher bei der Umsetzung besonders zu sichern. Dies gebietet das Grundgesetz wie die Sicherung fairer und angemessener Vergütung.
Gesamtwirtschaftliche Entgeltunterschiede entstehen zum überwiegenden Teil durch individuelle Erwerbsverläufe, die häufig durch gesellschaftlich gewachsene Rollenbilder oder unzureichende Betreuungsinfrastrukturen beeinflusst sind. Diese strukturellen Ursachen erfordern eine gesamtgesellschaftliche Lösung. Sinnvoll sind gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Erwerbschancen und zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nur durch die Bekämpfung der tatsächlichen Ursachen lassen sich geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede nachhaltig verringern.
Die Anpassung ins deutsche Recht muss mit Augenmaß erfolgen. Entscheidend für eine ausgewogene und praxisnahe Umsetzung ist vor allem die Einbindung der Sozialpartner und von Unternehmensvertretern in die vorgesehene Kommission. Nur so lassen sich die an erster Stelle arbeitsbezogenen Fragen der Entgeltgleichheit angemessen berücksichtigen. Die Einbindung der Sozialpartner ist daher unerlässlich.
Selbst bei einer 1:1 Umsetzung der Richtlinie werden die erforderlichen Anpassungen die Unternehmen in erheblichem Maße belasten. Inhaltliche Korrekturen der Richtlinie sind auf europäischer Ebene erforderlich, um eine praxistaugliche und wirtschaftlich tragfähige Umsetzung zu gewährleisten. Die Bundesregierung sollte sich daher dafür einsetzen, dass die Richtlinie im Rahmen des nächsten Omnibus-Vorschlags auf den Prüfstand gestellt wird. Die vielfältigen Bekundungen zum Bürokratieabbau müssen ernst genommen werden. Insbesondere gilt es, Dopplungen und Überschneidungen mit Blick auf die sozialpolitischen Berichtsstandards der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie zu vermeiden. Unternehmen dürfen nicht mit mehr Bürokratie belastet werden. Gleichzeitig ist sicherzustellen, dass bestehende Privilegien für tarifgebundene und tarifanwendende Unternehmen erhalten bleiben.
Angemessenheitsvermutung von Tarifverträgen wahren
Die Angemessenheitsvermutung von Tarifverträgen ist Ausdruck der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie. Tarifvertraglich geregelte Entgeltsysteme sind das Ergebnis autonomer Verhandlungen der Sozialpartner und gewährleisten eine transparente, diskriminierungsfreie und geschlechtsneutrale Vergütung. Sie beruhen auf praxisgerechten Arbeitsbewertungsverfahren und stellen sicher, dass gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten unabhängig vom Geschlecht gleich vergütet werden. Die im Entgelttransparenzgesetz verankerte Angemessenheitsvermutung von Tarifverträgen wurde zu Recht ausdrücklich anerkannt.
Im Zuge der Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie ist sicherzustellen, dass diese Angemessenheitsvermutung erhalten bleibt. Eine nachträgliche Prüfung bestehender tariflicher Bewertungssysteme durch eine gemeinsame Entgeltbewertung gem. Art. 10 der Richtlinie widerspricht dem verfassungsrechtlich garantierten Gestaltungsspielraum der Tarifpartner und stellt einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie dar. Tarifverträge müssen weiterhin frei von staatlicher Einflussnahme gestaltet werden können. Zudem ist jeglicher bürokratische Aufwand, der der Angemessenheitsvermutung von Tarifverträgen sowie der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie zuwiderläuft, zu vermeiden. Die gesetzliche Festschreibung der Angemessenheitsvermutung ist daher zwingend erforderlich.
Bewährte Arbeitsbewertungsstrukturen nicht durch Regulierung gefährden
Die sachgerechte Bewertung von Tätigkeiten ist eine grundlegende Voraussetzung für transparente und faire Entgeltsysteme. Diese Aufgabe liegt traditionell in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien. Sie sind am besten in der Lage, die unterschiedlichen Anforderungen, Qualifikationen und betrieblichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Angesichts der Vielfalt unternehmerischer Strukturen und branchenspezifischen Anforderungen darf diese bewährte Praxis nicht eingeschränkt werden.
Die Richtlinie definiert mit Kompetenz, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen die Kernkriterien zur Arbeitsbewertung. Ihre Gewichtung obliegt dabei den Arbeitgebern. Die derzeitigen tariflichen Bewertungssysteme gewährleisten bereits eine diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung, indem sie die vier Kernkriterien integrieren. Da diese Kriterien bereits in den bestehenden tariflichen Entgeltsystemen berücksichtigt werden, sind diese nicht in Frage zu stellen. Eine Anpassung der Vergütungsstrukturen ist nicht erforderlich. Es bedarf demnach einer hinreichenden Konkretisierung der vier Kernkriterien, um auszuschließen, dass hieraus eine Verpflichtung zur Einführung staatlich normierter Standardinstrumente zur Arbeitsbewertung abgeleitet werden kann. Die Anwendung bestehender sowie etwaiger neuer Prüfsysteme muss auch zukünftig freiwillig bleiben und sich an den spezifischen Anforderungen der jeweiligen Betriebe und Branchen orientieren.
Konkretisierungsbedarf hinsichtlich einheitlicher Quelle
Die Bewertung, ob sich Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation befinden, soll künftig davon abhängen, ob eine „einheitliche Quelle“ alle relevanten Elemente des Entgelts festlegt (Art. 19 Abs. 1 der Entgelttransparenz-Richtlinie). Dadurch können sich Anspruchsteller konzern- oder unternehmensübergreifend auf Vergleichspersonen berufen. Wird die Vergütung durch einen Branchentarifvertrag bestimmt, gilt auch dieser als einheitliche Quelle. Dies stellt eine Abweichung vom bekannten System der Vergleichsgruppenbildung dar, weshalb es zwingend einer praxistauglichen und passgenauen Umsetzung bedarf. Für den Zweck des Entgeltgleichheitsgebots ist es zudem nicht zielführend, den Blick auf vergangene Gehälter zu richten. Diese sind bei einer sich ständig verändernden Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage nicht aussagekräftig. Aus diesem Grund ist die Einbeziehung ausgeschiedener Arbeitnehmer in zeitlicher Hinsicht zu begrenzen.
Für Arbeitgeber geht mit der Umsetzung der Richtlinie ein erheblicher Mehraufwand einher – insbesondere für Unternehmen, die überregional tätig sind. Um sicherzustellen, dass betriebs- und branchenübergreifende Besonderheiten hinreichend Beachtung finden, müssen daher bei einem überregional tätigen Arbeitgeber weiterhin unterschiedliche Entgeltregelungen in unterschiedlichen Regionen maßgeblich bleiben. Arbeitgeber sollten die Möglichkeit haben, selbst festzulegen, welche Quelle im jeweiligen Kontext als maßgeblich gilt. Bei der Bildung von Vergleichsgruppen ist darüber hinaus zu beachten, dass das Prinzip „gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit“ nicht sektor- oder branchenübergreifend angewendet werden kann. Unterschiede in Produktivität, Wertschöpfung, Qualifikation und weiteren betrieblichen Faktoren schließen eine sachgerechte Vergleichbarkeit über solche Grenzen hinweg aus. Besteht keine einheitliche Quelle, kann eine Vergleichbarkeit der Tätigkeiten folgerichtig nicht mehr angenommen werden. Eine entsprechende gesetzliche Klarstellung ist daher erforderlich.
Entgeltbegriff eingrenzen
Der Begriff „Entgelt“ im Sinne der Richtlinie umfasst auch variablen Vergütungsbestandteile. Dies stellt Unternehmen vor erhebliche praktische Herausforderungen: Die vollständige Identifikation und Bezifferung variablen Vergütungsbestandteile sind oft nicht umsetzbar und mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden. Um den administrativen Aufwand überschaubar zu halten, ist die Betrachtung auf eindeutig erfassbare und für die Ermittlung eines Gender Pay Gaps wesentliche Vergütungsbestandteile (z. B. Grundvergütung, Zuschläge und Zulagen) zu beschränken.
Umfangreiche Auskunfts- und Berichtspflichten widersprechen Bürokratieabbau
Arbeitgeber mit mehr als 100 Beschäftigten müssen in regelmäßigen Abständen Berichtspflichten zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle erfüllen. Der jährliche bis alle drei Jahre zu erstellende Entgeltbericht über sieben Daten stellt eine umfangreiche administrative Belastung für Unternehmen dar. KMU verfügen häufig nicht über die erforderliche Personalfunktion zur Durchführung der geforderten Erhebungen. Größere Unternehmen werden aufgrund komplexer Vergütungsstrukturen auf externe Berater zurückgreifen müssen und dadurch zusätzliche Kosten tragen. Es entsteht ein unverhältnismäßiger Zeit- und Kostenaufwand für die Datenaufbereitung. Die Berichtspflicht reiht sich damit in die überbordende Bürokratielast des Sammelsuriums gesetzlicher Berichtspflichten ein.
Ein Auskunftsanspruch unabhängig der Unternehmensgröße belastet vor allem kleine Unternehmen. Die Pflicht des Arbeitgebers alle Arbeitnehmer jährlich über den Auskunftsanspruch zu informieren, bedarf zudem einer niedrigschwelligen Ausgestaltung. Ausreichend sind zum Beispiel Aushänge am schwarzen Brett oder eine Information im Intranet. Weiterhin fehlt es an einer zeitlichen Begrenzung, wie oft der Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden kann. Diese hat richtigerweise in § 10 Abs. 2 EntgTranspG Einzug erhalten. Danach kann vor Ablauf von zwei Jahren nach dem ersten Auskunftsverlangen kein erneutes Auskunftsersuchen gestellt werden, es sei denn, die Voraussetzungen haben sich wesentlich geändert. Es ist eine zeitliche Begrenzung hinsichtlich der Geltendmachung eines erneuten Auskunftsanspruchs geboten. Dies schafft Planungssicherheit für Arbeitgeber und reduziert den administrativen Aufwand.
Ansprechpartnerin:
BDA | DIE ARBEITGEBER
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Abteilung Arbeitsrecht und Tarifpolitik
T +49 30 2033-1200
arbeitsrecht@arbeitgeber.de
Die BDA organisiert als Spitzenverband die sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen der gesamten deutschen Wirtschaft. Wir bündeln die Interessen von einer Million Betrieben mit rund 30,5 Millionen Beschäftigten. Diese Betriebe sind der BDA durch freiwillige Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden verbunden.
![]()





