Geplante Beseitigung arbeitsrechtlicher Hürden bei der Beschäftigung Älterer sinnvoll, sonstige Maßnahmen sind in der Wirkung fragwürdig und teuer
Stellungnahme zum Entwurf einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP zu Neuregelungen zur Umsetzung von rentenpolitischen Maßnahmen der Wachstumsinitiative der Bundesregierung
27. August 2024
Zusammenfassung
Ältere Beschäftigte sind unverzichtbar für den Arbeitsmarkt. Vor dem Hintergrund, dass der demografische Wandel in den nächsten Jahren seine volle Wirkung entfalten wird, bedarf es dringend zusätzlicher Maßnahmen, um die Beschäftigung Älterer weiter auszubauen. Die Arbeitgeber haben bereits im März 2024 entsprechende Vorschläge vorgelegt1.
Das mit den geplanten Änderungen verfolgte Ziel, die Beschäftigung Älterer auszubauen, ist richtig. Am ehesten wird es durch die geplante Einschränkung des sog. Vorbeschäftigungsverbots erreicht, das bislang die erneute Beschäftigung ehemaliger Beschäftigter im Rentenalter erschwert. Allerdings sollten die arbeitsrechtlichen Hürden bei der Beschäftigung Älterer noch stärker abgebaut werden.
Die übrigen geplanten Maßnahmen – die Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags an beschäftigte Rentner, die Rentenaufschubprämie und der zusätzliche Einkommensfreibetrag für beschäftigte Hinterbliebenenrentenempfänger – sind dagegen in ihrer Wirkung ungewiss und vor allem teuer. Sie werden die Beitragszahlenden voraussichtlich in Höhe von rund 1,7 Mrd. € jährlich zusätzlich belasten. Dabei sollte mit der Wachstumsinitiative eine Entlastung der Beitragszahlenden infolge zusätzlicher Beschäftigung erreicht werden.
Statt zusätzliches Geld für in der Wirkung zweifelhafte Anreize für längeres Arbeiten zu geben, sollten vielmehr bestehende Frühverrentungsanreize ersatzlos gestrichen werden. Insbesondere sollte die abschlagsfreie Rente für besonders langjährige Versicherte (sog. Rente ab 63) schnellstmöglich abgeschafft werden. Für die Frage, ob Beschäftigte nach der Regelaltersgrenze weiterarbeiten, bedarf es keiner zusätzlichen finanziellen Anreize. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Spaß an der Arbeit, das Interesse, eine Aufgabe zu haben und der Wunsch nach Kontakten zu anderen viel entscheidender dafür sind, weshalb Beschäftigte nach der Regelaltersgrenze noch weiterarbeiten, als finanzielle Gründe.
Im Einzelnen
Beschäftigung Älterer über die geplante Einschränkung des Vorbeschäftigungsverbots hinaus erleichtern
Die Einschränkung des Vorbeschäftigungsverbots (§ 14 Absatz 2 Satz 2 TzBfG) ist zu begrüßen. Damit wird Arbeitgebern die Wiedereinstellung ehemaliger Beschäftigter im Rentenalter und die Rückkehr ehemaliger Beschäftigter zum früheren Arbeitgeber erleichtert. Die dabei vorgesehenen Grenzen für Befristungen von 8 Jahren bzw. 12 Arbeitsverträgen orientieren sich an der hierfür entwickelten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und sind daher angemessen.
Allerdings sollten noch darüber hinaus arbeitsrechtliche Hürden bei der Beschäftigung Älterer beseitigt werden.
- Die Einschränkung des Vorbeschäftigungsverbots sollte sich nicht nur auf Beschäftigte beschränken, die die Regelaltersgrenze bereits erreicht haben, sondern auf alle, die mit einem Anspruch auf eine Rente aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und noch einmal bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber einsteigen möchten. Dies würde es z. B. ermöglichen, dass Beschäftigte, die nach einer Altersteilzeit vorzeitig ausgeschieden sind (§ 8 Abs. 3 Altersteilzeitgesetz), noch einmal befristet einsteigen und über die Regelaltersgrenze hinaus bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber weiterarbeiten können.
- Klargestellt werden sollte, dass gleichzeitig mit der Vereinbarung einer Verlängerung einer Beschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus (§ 41 Abs. 1 Satz 3 SGB VI) die Arbeitsbedingungen, z. B. die Arbeitszeit von Beschäftigten, angepasst werden können. Häufig möchten Beschäftigte aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr im bisherigen Umfang arbeiten. Die aktuell noch notwendige separate Vereinbarung zur Anpassung der Arbeitszeit oder anderer Vertragsbedingungen, um die Befristung nicht zu gefährden, ist weder nachvollziehbar noch sachgerecht. Diese Erschwernis verursacht in der Praxis zusätzlichen administrativen Aufwand, schafft Rechtsunsicherheit und kann im schlimmsten Fall ungewollte Kosten nach sich ziehen.
Rentenaufschubprämie nicht gegenüber Rentenzahlungen beitragsrechtlich privilegieren und Bürokratieaufwand prüfen
Die Idee der geplanten sog. Rentenaufschubprämie, die bei späteren Rentenbeginn fälligen Rentenzuschläge alternativ auch als Prämie auszuzahlen, ist grundsätzlich nachvollziehbar. Es ist zumindest vorstellbar, dass die Aussicht auf eine Prämienzahlung zum längeren Arbeiten und zum Rentenaufschub motiviert.
Allerdings darf die Rentenaufschubprämie nicht gegenüber einer Rentenzahlung steuer- und beitragsrechtlich privilegiert werden. Es ist daher nicht richtig, dass die Rentenaufschubprämie beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung sein soll, obwohl Rentenzuschläge in beiden Sozialversicherungszweigen beitragspflichtig sind: Zum einen, weil die geplanten Beitragsvorteile für die Rentenaufschubprämie automatisch zu Lasten der übrigen Beitragszahlenden gehen würden, weil sie die Ausfälle kompensieren müssten. Zum anderen, weil die Zahlung einer lebenslangen Rente besser als eine Kapitalzahlung sicherstellen kann, dass Rentner nicht auf zusätzliche Sozialleistungen, wie Grundrente oder Grundsicherung im Alter, angewiesen sind. Daher sollten keine Beitragsvorteile dazu verlocken, besser eine Einmalzahlung (Rentenaufschubprämie) statt eine lebenslange Rente zu beziehen.
Bevor über die Einführung der Rentenaufschubprämie entschieden wird, sollte – wie bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung – eine Berechnung des damit verbundenen Bürokratieaufwands erfolgen. Auf dieser Grundlage ließe sich bewerten, ob der Bürokratieaufwand verhältnismäßig ist. Eine solche Prüfung ist insbesondere deshalb sinnvoll, weil von der Rentenaufschubprämie kaum Gebrauch gemacht werden dürfte. Die zu erwartende geringe Nutzung der Rentenaufschubprämie beruht darauf, dass die Rentenaufschubprämie voraussetzt, dass Beschäftigte nach der Regelaltersgrenze weiter versicherungspflichtig sind (§°107a Abs. 1 Nr. 2 SGB VI-E) und damit auch selbst Beiträge zahlen. Die meisten Beschäftigten, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten, wollen aber nicht mehr in die Rentenversicherung einzahlen und entscheiden sich daher für die Versicherungsfreiheit, was sie durch die Beantragung einer Altersrente auch erreichen können. Wenn Beschäftigte sich künftig mit Erreichen der Regelaltersgrenze bei einer Entscheidung für die Versicherungsfreiheit dann auch noch die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung auszahlen lassen können (§ 172 Abs. 1 SGB VI-E), dürfte dies in noch größerem Maße der Fall sein. Insofern konterkariert die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit, die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung auszuzahlen, die Idee der Rentenaufschubprämie.
Höherer Einkommensfreibetrag für beschäftigte Hinterbliebene ist ein Schuss ins Blaue
Die geplante großzügigere Einkommensanrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen bei der Hinterbliebenenversorgung ist ein Schuss ins Blaue. Es ist völlig unklar, ob die Einführung des geplanten Sockelbetrags bei der Einkommensanrechnung tatsächlich die erhoffte positive Wirkung einer erhöhten Erwerbsbeteiligung von Hinterbliebenen erreicht. Aktuell fehlt eine Datengrundlage (Einkommensverhältnisse und Berufe) zur Bewertung der Wirkung. Darauf wurde ausdrücklich von Vertretern der Wissenschaft im Dialogprozess Arbeit & Rente hingewiesen Ohne eine belastbare Datengrundlage sollten keine Veränderungen bei der Einkommensanrechnung bei der Hinterbliebenenversorgung erfolgen:
- Die Neuregelung würde die Beitragszahlenden der Rentenversicherung zusätzlich belasten. Erste Schätzungen, die aufgrund der unsicheren Datenlage mit einigen Unsicherheiten verbunden sind, gehen immerhin von Mehrausgaben der Rentenversicherung in Höhe von rund 0,5 Mrd. € im Jahr aus.
- Eine großzügigere Einkommensanrechnung kann sogar das Gegenteil bewirken und dazu führen, dass Beschäftigte dadurch motiviert werden, ihre Arbeit einzuschränken.
Sinnvoller als kleinteilige Maßnahmen wäre ohnehin eine grundlegende Reform der Hinterbliebenenversorgung. Mögliche Reformoptionen hat der Sachverständigenrat Wirtschaft in seinem Jahresgutachten 2023/2024 ausführlich dargestellt (Ziffer 443).
Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht an Beschäftigte auszahlen
Die geplante Möglichkeit der Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung an die Beschäftigten muss unterbleiben.
- Die Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge würde zu einer Ungleichbehandlung von Beschäftigten führen: Beschäftigte, die bereits die Regelaltersgrenze überschritten haben und Rente beziehen, würden über 10 % mehr von ihrem Arbeitgeber ausgezahlt bekommen als andere Beschäftigte. Da beschäftigte Rentner nach der Regelaltersgrenze zudem (schon heute) selbst keine Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen müssen, stünden sie damit netto deutlich besser als ihre übrigen Kollegen. Eine solche Ungleichbehandlung von älteren und jüngeren Beschäftigten ist diskriminierend.
Der Gesetzgeber bringt die Arbeitgeber damit künftig in eine schwierige Situation: Ältere Beschäftigte würden kein Verständnis dafür haben, wenn Arbeitgeber nicht von der Möglichkeit Gebrauch machten, ihnen die Arbeitgeberbeiträge auszuzahlen. Daher werden die Arbeitgeber die Beiträge auch auszahlen. Jüngere Beschäftigte werden sich dann aber ärgern, weil sie dann trotz gleicher Arbeit von ihrem Arbeitgeber weniger ausgezahlt erhalten.
- Es ist unnötig, zusätzliche finanzielle Anreize zum Arbeiten nach der Regelaltersgrenze zu schaffen. Finanzielle Vorteile spielen nachweislich keine große Rolle für die Motivation, nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterzuarbeiten. Wichtiger als Geld sind den Menschen, die im Ruhestand weiterarbeiten dabei der Spaß an der Arbeit oder das Bedürfnis nach einer sinnvollen Aufgabe und sozialen Kontakten2. Zudem stehen beschäftigte Rentner nach der Regelaltersgrenze ohnehin finanziell besser als Jüngere, weil sie keine Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen müssen.
- Die Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge führt zu Einnahmeverlusten bei der Sozialversicherung, die von den Beitragszahlenden und damit von den Arbeitgebern und ihren Beschäftigten zu kompensieren sein werden. Allein für die Rentenversicherung würde die Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge Einnahmeausfälle von rund 0,5 Mrd. € bedeuten.
- Die Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge für Rentner würde zudem mittelbar zu höheren Rentenausgaben führen: Dies liegt daran, dass sich die Höhe der Renten nach der Höhe der durchschnittlichen beitragspflichtigen Entgelte richtet. Da Entgelte von Personen ab der Regelaltersgrenze regelmäßig unterdurchschnittlich hoch sind, würde ein Wegfall der Bei-tragspflicht ihrer Entgelte das durchschnittliche beitragspflichtige Entgelt einmalig erhöhen. Dies würde zu einer um rund 0,2 Prozentpunkte höheren Rentenanpassung führen, wenn der Gesetzgeber nicht noch gegensteuert. Auf der Grundlage der Daten aus 2023 würde dies im ersten Jahr, in dem diese Erhöhung wirkt, zu Mehrausgaben in Höhe von rund 0,4 Mrd. € und in den Folgejahren von je rund 0,7 Mrd. € führen.
Anstatt die Arbeitgeberbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung an die Beschäftigten auszuzahlen, sollte vielmehr künftig gelten, dass Beiträge nur dann gezahlt werden müssen, wenn ihnen auch Leistungsansprüche in den Sozialversicherungen gegenüberstehen können. Bei der Beschäftigung von Rentnern ist dies nach der Regelaltersgrenze aber weder in der Renten- noch in der Arbeitslosenversicherung der Fall. Deshalb sollte diese Beschäftigung auch für Arbeitgeber und Beschäftigte beitragsfrei sein.
Sollte die Regelung trotz aller Bedenken umgesetzt werden, muss klargestellt werden, dass ausgezahlte Arbeitgeberbeiträge kein Lohn sind, sondern – so wie die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung heute auch – steuer- und beitragsfrei sind. Andernfalls würde die Beschäftigung Älterer für die Arbeitgeber sogar teurer, weil sie dann auch noch auf die Auszahlung der Arbeitgeberbeiträge an ihre Beschäftigten zusätzlich Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssten. Zudem wäre die Umsetzung administrativ auch gar nicht anders in den Lohn- und Gehaltsprogrammen möglich. Auch mit Blick auf die Berechnung von Entgeltersatzleistungen sollte klargestellt werden, dass ausgezahlte Arbeitgeberbeiträge kein Lohn sind.
1 BDA (2024): Beschäftigung Älterer weiter ausbauen. https://arbeitgeber.de/wp-content/uploads/2024/03/bda-arbeitgeber-positionspapier-beschaeftigung_aelterer_weiter_ausbauen.pdf
2 Romeu et al. (2022); Rentnerinnen und Rentner am Arbeitsmarkt: Erwerbsarbeit im Ruhestand hat vielfältige Gründe – nicht nur finanzielle, IAB-Kurzbericht, 8/2022.
Ansprechpartnerin:
BDA | DIE ARBEITGEBER
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Abteilung Soziale Sicherung
T +49 30 2033-1600
soziale.sicherung@arbeitgeber.de
Die BDA organisiert als Spitzenverband die sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen der gesamten deutschen Wirtschaft. Wir bündeln die Interessen von einer Million Betrieben mit rund 30,5 Millionen Beschäftigten. Diese Betriebe sind der BDA durch freiwillige Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden verbunden.