Vielfalt fördern: Sensibilisieren und unterstützen für einen inklusiven Arbeitsmarkt
Kernforderungen für Inklusion am Arbeitsmarkt
27. Februar 2025
Die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist ein wichtiges Ziel. Auch angesichts des Arbeits- und Fachkräftemangels ist es im ureigenen Interesse der Unternehmen, Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen im Betrieb zu halten und bei der Personalrekrutierung auch die Potenziale von Menschen mit Behinderungen in den Blick zu nehmen. Arbeitgeber nehmen diese Verantwortung ernst und setzen sich aktiv für die Ausbildung und die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen ein. 1,1 Millionen[1] schwerbehinderte Menschen in Beschäftigung belegen dies. Sie sind – richtig eingesetzt – voll leistungsfähige Beschäftigte, die vielfach besonders motiviert ihre Aufgaben erfüllen. Es braucht Bewusstseinsbildung und Unterstützung im Zuständigkeitsdschungel statt kontraproduktiven Zwangs. Die Botschaft ist entscheidend, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen ein Gewinn für und im betriebswirtschaftlichen Interesse von Unternehmen ist und nicht etwas, das Zwang erfordert.
Wichtig für noch mehr Inklusion am Arbeitsmarkt sind folgende Punkte:
1. Rolle der Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) präzisieren
Die Einführung der EAA war richtig. Für ein einheitliches Verständnis des Aufgabenportfolios der EAA bedarf es aber entsprechender gesetzlicher Klarstellungen in § 185a SGB IX. Es gibt eine Vielzahl von Institutionen und Förderinstrumenten für die berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Das System ist allerdings sowohl für Menschen mit Behinderungen als auch für Arbeitgeber schwer durchschaubar. Vielfach ist es schwierig zu erkennen, welche Behörde für welche Fördermaßnahmen zuständig ist. Genau hier setzen die EAA als Ansprechpartner für die Arbeitgeber an. Die EAA sollten weiterhin ergänzend zu den zuständigen Behörden agieren. Die Vermittlung in Arbeit ist Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit (BA). Gleichwohl können und sollten die Kompetenzen der EAA auch für eine erfolgreiche Vermittlung in Arbeit genutzt werden. Es sollte klargestellt werden, dass es Aufgabe der EAA ist, bei der Vermittlungsarbeit zu unterstützen. Diese Aufgabe sollte auch die Unterstützung von Übergängen aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung umfassen. Neben der Beratung und Sensibilisierung von Arbeitgebern ist es Aufgabe der EAA, Hand in Hand mit den verschiedenen Rehaträgern zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit muss weiter gestärkt werden und darf nicht an datenschutzrechtlichen Anforderungen scheitern. So sollten vor allem EAA und die in der Region zuständige Arbeitsagentur Daten über schwerbehinderte Arbeitsuchende und Unternehmen austauschen können, die gerne eine Person mit Behinderungen beschäftigen möchten. So würden sehr viel schneller und einfacher geeignete Bewerberinnen und Bewerber und interessierte Arbeitgeber zusammengebracht werden.
2. Keine Verschärfung der Ausgleichsabgabe – Inklusion durch Unterstützung statt Zwang
Weitere Verschärfungen bei der Ausgleichsabgabe und Beschäftigungspflicht sind kein geeignetes Mittel für mehr Inklusion. Schon die zum 1. Januar 2024 eingeführte sog. vierte Staffel bei der Ausgleichsabgabe wird, die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen nicht fördern. Sie wird vorrangig dazu führen, dass die Inklusionsämter über mehr Ausgleichsabgabe verfügen. Mit einer verschärften Beschäftigungspflicht und Ausgleichsabgabe, wie es immer wieder reflexhaft gefordert wird, wird nicht an den tatsächlichen Hindernissen wie den Passungsproblemen und fehlendem Wissen um die komplexen Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten angesetzt. Nach wie vor gibt es mehr unbesetzte Pflichtarbeitsplätze als schwerbehinderte Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Schon jetzt ist es rechnerisch daher nicht für alle Unternehmen möglich, ausreichend schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Laut den Daten der BA waren im Jahr 2022 916.846 Pflichtarbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt. 324.765 Pflichtarbeitsplätze waren hingegen unbesetzt. [2] Diesen unbesetzten Pflichtarbeitsplätzen standen 163.507 arbeitslose schwerbehinderte Menschen gegenüber.[3] Weitere Verschärfungen bei der Ausgleichsabgabe oder Beschäftigungspflicht senden ein falsches Signal an die ohnehin belasteten Betriebe und konterkariert die Botschaft, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen ein Gewinn für Unternehmen ist. Um Inklusion voranzutreiben, sind Beratung, Qualifizierung, gezielte Vermittlung und eine engere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure notwendig. Außerdem sollten Arbeitgeber, die trotz ernsthafter Bemühungen keinen Menschen mit Behinderungen einstellen können, von der Zahlungspflicht befreit werden.
3. Aufträge an Werkstätten weiterhin auf die Ausgleichsabgabe anrechnen
Zum Teil wird gefordert, Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) vollständig abzuschaffen. Dies wird der Bedeutung der WfbM nicht gerecht: Es wird immer Menschen geben, für die die WfbM langfristig die richtige Lösung ist. Richtig ist hingegen, weiter daran zu arbeiten, dass mehr Werkstattbeschäftigte aus der WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt übergehen. Es sollte zu diesem Zweck eine höhere Anrechnung auf die Ausgleichsabgabe geben, wenn ehemalige WfbM-Beschäftigte eingestellt oder von Außenarbeitsplätzen übernommen werden. Eine ähnliche Anreizregelung gibt es bereits für Auszubildende.
Es ist wichtig, dass weiterhin Aufträge, die an WfbM vergeben werden, auf die Ausgleichsabgabe angerechnet werden können. Wer diese Möglichkeit streichen will, nimmt in Kauf, dass weniger Aufträge an WfbM vergeben werden. WfbM sind aber auf Aufträge von Unternehmen angewiesen, da sonst ihre Existenz bedroht wäre. Immerhin wird durch die Aufträge, die mit der Anrechnung auf die Ausgleichsabgabe verbunden sind, ein Drittel der Arbeitsentgelte der WfbM finanziert.[4]
4. Absetzbarkeit der Ausgleichsabgabe beibehalten
Die immer wieder erhobene Forderung, die Ausgleichsabgabe nicht mehr steuerlich absetzen zu können, widerspricht allen Prinzipien des Steuerrechts. Arbeitgeber, die zur Zahlung der Ausgleichsabgabe verpflichtet sind, sollten diese weiterhin – wie jede andere betriebliche Ausgabe – steuerlich absetzen können.
Das Einkommensteuergesetz sieht in § 4 EStG vor, dass Gewinn besteuert wird. Gewinn ist, was von den Einnahmen nach Abzug der notwendigen Ausgaben übrigbleibt. Die Ausgleichsabgabe ist eine solche notwendige Betriebsausgabe. Sie schmälert also den Gewinn. Es ist daher fair und richtig, dass das für die Ausgleichsabgabe verwendete Geld nicht zusätzlich besteuert wird. Praktisch würde das bedeuten: Unternehmen würden gezwungen, Geld zu besteuern, das nicht mehr in ihren Kassen liegt.
5. Kein Mindestlohn für Werkstattbeschäftigte
Ein Mindestlohn für Werkstattbeschäftigte widerspricht dem Rehabilitationszweck der WfbM. Eine Aufnahme in einer WfbM erfolgt dann, wenn eine Beschäftigung wegen Art und Schwere der Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich ist. Werkstattbeschäftigte sind daher nicht Arbeitnehmer, sondern befinden sich in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis, das u. a. auch Vorteile bei der rentenrechtlichen Absicherung hat. Diese Vorteile haben Arbeitnehmer nicht. Es besteht auch keine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung. Wenn der Mindestlohn zusätzlich sogar bei gleichbleibendem Rentenprivileg gezahlt würde, würde dies den Anreiz für Werkstattbeschäftigte, eine Arbeit außerhalb der WfbM aufzunehmen, noch weiter verringern. Schon jetzt führt das sog. Rentenprivileg zu diesem Ergebnis.
6. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durch individuelle Anpassungen und digitale Lösungen effizienter gestalten
Beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) braucht es weder neue gesetzliche Ansprüche noch verbindliche Standards. Stattdessen müssen die Verfahren modernisiert und die bisherigen gesetzlichen Regelungen klargestellt werden. Arbeitgeber haben ein starkes Interesse daran, Beschäftigte im Arbeitsverhältnis zu halten. Ein BEM ist daher dann erfolgreich, wenn es freiwillig und von Kooperationsbereitschaft vor allem von Seiten der Beschäftigten geprägt ist. Die Eigenverantwortung der Beschäftigten ist essenziell für das Gelingen eines BEM. Gute individuelle Lösungen für die Betroffenen können nur durch ein verlaufs- und ergebnisoffenes Verfahren gefunden werden. Ein gesetzlicher Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung stünde auch im Widerspruch zur bewährten betrieblichen Praxis. Arbeitgeber widersprechen einer solchen Wiedereingliederung nur in seltensten Ausnahmen, wenn wichtige betriebliche Interessen entgegenstehen.
Aufgrund der aktuellen Rechtsprechungsentwicklung werden BEM-Verfahren immer länger und teurer. Das BEM sollte als durchgeführt gelten, wenn eine Einladung des Arbeitgebers durch den betroffenen Beschäftigten unbeantwortet bleibt. Der Beschäftigte kann das BEM als „Herr des Verfahrens“ einseitig beenden und kann es sanktionslos in die Länge ziehen. Demgegenüber kann der Arbeitgeber das BEM nicht einseitig beenden. Darüber hinaus ist gesetzlich nicht konkretisiert, wann ein BEM tatsächlich abgeschlossen ist. Auch hier braucht es mehr Rechtssicherheit. Klargestellt werden sollte, dass das BEM auch während der Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten eingeleitet und durchgeführt werden darf, soweit dies gesundheitlich möglich ist.
Außerdem sollte klargestellt werden, dass Beschäftigte die Kosten für eine externe Vertrauensperson selbst tragen müssen, wenn sie diese zum BEM hinzuziehen. Darüber hinaus bestehen praktische Probleme mit hinzugezogenen Vertrauenspersonen, die keine Rechtsbeistände sind und daher beruflich nicht zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Wer als Vertrauensperson hinzugezogen ist, ist zur Geheimhaltung hinsichtlich aller unternehmens- und betriebsbezogenen Daten verpflichtet. Dies sollte gesetzlich klargestellt werden.
Eine Digitalisierung des BEM-Verfahrens ist für Arbeitgeber mit zentraler Dokumentenerstellung und hohem Automatisierungsgrad wünschenswert. Die Möglichkeit einer digitalen Aktenführung kann helfen, das BEM effizienter zu gestalten. Daher sollte klargestellt werden, dass alle formellen Anforderungen im Verfahren auch digital erfüllt werden können.
7. Unternehmen beim Abbau von Barrieren unterstützen
Es besteht kein Bedarf, den Anwendungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) auf private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen auszuweiten. Eine Ausweitung des BGG bedeutet aufgrund der vielfältigen komplexen Anforderungen an die Unternehmen einen massiven Aufwand und je nach Fallgestaltung auch hohe Kosten. Die Arbeitgeber bekennen sich zur Barrierefreiheit nach den bisherigen gesetzlichen Vorschriften und setzen diese auch erfolgreich um. Die Unternehmen werden schon jetzt durch die praktische Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes finanziell erheblich belastet. Eine darüberhinausgehende gesetzliche Verpflichtung der privaten Unternehmen – und damit der ohnehin geschwächten Wirtschaft – wird die Unternehmen deutlich treffen. Der Abbau von Barrieren sollte nicht mit Zwang durchgesetzt werden. Stattdessen braucht es Bewusstseinsbildung und Unterstützung im Hinblick auf Barrierefreiheit etwa durch die Bundesfachstelle Barrierefreiheit.
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[1] Bundesagentur für Arbeit, Statistik, Schwerbehinderte Menschen in Beschäftigung, 2022, unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202212/iiia6/bsbm-bsbm/bsbm-d-0-202212-xlsx.xlsx?__blob=publicationFile&v=1 (abgerufen am 24. Februar 2025).
[2] Bundesagentur für Arbeit, Statistik, Schwerbehinderte Menschen in Beschäftigung (Anzeigeverfahren SGB IX) - Deutschland, 2022, unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202212/iiia6/bsbm-bsbm/bsbm-d-0-202212-xlsx.xlsx?__blob=publicationFile&v=1 (abgerufen am 24. Februar 2025).
[3] Bundesagentur für Arbeit, Statistik, Arbeitslose nach Rechtskreisen – Deutschland (Jahreszahlen), 2022, unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202212/iiia4/akt-dat-jz/akt-dat-jz-d-0-202212-xlsx.xlsx?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 24. Februar 2025).
[4] BAG WfbM, Stellungnahme zur geplanten Streichung der Anrechnung von Werkstattaufträgen auf die Ausgleichsabgabe,19. Juni 2024, Rn. 45, unter: https://www.bagwfbm.de/file/1663 (abgerufen am 24. Februar 2025).
Ansprechpartnerin:
BDA | DIE ARBEITGEBER
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Abteilung Arbeitsmarkt
T +49 30 2033-1400
arbeitsmarkt@arbeitgeber.de
Die BDA organisiert als Spitzenverband die sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen der gesamten deutschen Wirtschaft. Wir bündeln die Interessen von einer Million Betrieben mit rund 30,5 Millionen Beschäftigten. Diese Betriebe sind der BDA durch freiwillige Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden verbunden.