Eigenverantwortung stärken, gezielt unterstützen und auf wirklich Bedürftige konzentrieren
Kernforderungen für ein Grundsicherungssystem für Erwerbsfähige
18. Dezember 2024
Deutschland braucht einen aktivierenden Sozialstaat, der sich auf die wirklich Bedürftigen konzentriert und wehrhaft gegen Missbrauch ist. Was wir nicht brauchen, ist eine weitere finanzielle und personelle Expansion des Sozialstaats mit der Gießkanne. Eine Sozialpolitik, die suggeriert, dass der Staat alles regelt, hilft den Menschen nicht und ist auf Dauer weder administrierbar noch finanzierbar. Das Prinzip der Eigenverantwortung muss im Vordergrund stehen. Befähigung statt Bevormundung muss Leitgedanke sein.
Arbeit muss sich lohnen. Wer arbeitet, muss deutlich mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Es braucht eine aktive, engmaschige und bedarfsgerechte Beratung und konsequente Vermittlung, um alle Potenziale zur Arbeits- und Fachkräftesicherung zu nutzen. Eine Grundsicherung muss Menschen, die erwerbsfähig sind und grundsätzlich arbeiten können, aktiv dabei unterstützen, (wieder) auf eigenen Beinen zu stehen.
Entscheidend sind folgende Punkte:
1. Vermittlung muss Vorrang haben:
In einer Grundsicherung für erwerbsfähige Menschen muss die Priorität immer auf der Integration in Ausbildung und Beschäftigung liegen, um Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Weiterbildung ist wichtig, weil mangelnde Qualifikation ein wesentliches Hindernis bei der Vermittlung darstellt. Sie ist aber kein Allheilmittel und sollte gezielt eingesetzt werden. Bei Bedarf sollte berufsbegleitend im Betrieb qualifiziert werden, z. B. mit Teilqualifizierungen, mit denen Stück für Stück ein Berufsabschluss erworben werden kann. Es ist aber wichtig, nicht nur die qualifikatorischen Passungsprobleme anzugehen. Wichtig ist auch, die regionale Passung am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu verbessern, indem die regionale Mobilität gefördert und eingefordert wird. Soziale Teilhabe darf bei einem Grundsicherungssystem für Erwerbsfähige nicht im Vordergrund stehen. Ziel auch der Förderinstrumente muss zumindest mittelfristig die Integration in Arbeit sein. Wenn das perspektivisch nicht möglich ist, dann ist die betroffene Person nicht erwerbsfähig und eine Grundsicherung für erwerbsfähige Personen nicht das richtige System. Die Menschen müssen eng begleitet und unterstützt werden, wo notwendig, auch durch aufsuchende Beratung. Ein regelmäßiger, intensiver Kontakt erschwert es, dass Menschen Leistungen beziehen und sich „schwarz“ etwas dazu verdienen. Die Grundsicherung ist auch nicht dafür geschaffen worden, unrentable Geschäftsmodelle dauerhaft durch die Allgemeinheit zu finanzieren. Wer also selbstständig ist und seine Existenz damit nicht sichern kann, muss nach einer gewissen Zeit in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt werden.
2. Mitwirkungspflichten stärken und Leistungen konsequent und ausreichend kürzen:
Notwendig ist Verbindlichkeit im Vermittlungsprozess. Es muss nicht nur gefördert, sondern auch gefordert werden. Mitwirkungspflichten müssen durchgesetzt werden können. Das geht nur mit wirksamen Sanktionsregelungen, die insbesondere präventiv wirken. Allein die Gefahr einer Leistungskürzung schafft Anreize, mit den Jobcentern zusammenzuarbeiten und den Leistungsbezug aktiv zu beenden. Geringe Leistungskürzungen von 10 % des Regelbedarfs haben keine abschreckende Wirkung. Bei fehlender Mitwirkung in Form von Meldeversäumnissen sollte gleich zu Beginn der Regelsatz deutlich gekürzt werden. Sinnvoll wäre auch, die übrigen Leistungen bis zur Wieder-Mitwirkung einzubehalten, um die Mitwirkungspflicht zu unterstreichen. Bei sog. Totalverweigerern, die zumutbare Angebote ablehnen, sollten Leistung auch vollständig gekürzt werden können und dabei die Kosten der Unterkunft und Heizung umfassen. Das hält auch das Bundesverfassungsgericht für möglich. In solchen Fällen h haben es die Menschen selbst in der Hand „ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern“.[1] Die Leistungskürzung sollte so lange greifen, wie zumutbare Arbeit oder Maßnahmen nicht angenommen werden.
3. Vermögensschutz begrenzen:
Wer Menschen unterstützt, die sich selbst helfen können, kürzt Mittel für die, die wirklich Unterstützung brauchen. Existenzsichernde Leistungen müssen sich auf wirklich Bedürftige konzentrieren. Die Solidargemeinschaft der Menschen, die Steuern zahlen, ist nicht dafür da, das Vermögen Einzelner abzusichern. Ein Paar mit zwei Kindern mit einem Vermögen von 85.000 € ist nicht bedürftig und sollte, anders als es jetzt der Fall ist, keine existenzsichernden Leistungen erhalten. Das Prinzip der Eigenverantwortung muss wieder stärker zum Tragen kommen. Hohe Grenzen des sog. Schonvermögens helfen den Menschen, die bereits existenzsichernde Leistungen beziehen, nicht, und gehen an der Realität vorbei. Ein Viertel der Menschen in Deutschland hat ein Vermögen von weniger als 1.600 €. Ein Schonvermögen von 5.000 € ist damit mehr als ausreichend, wer mehr hat sollte keine Leistungen zur Existenzsicherung erhalten. Bedürftig ist auch nicht, wer andere Leistungen beantragen kann. Existenzsichernde Leistungen sollten immer subsidiär sein. Schon deshalb war die Abschaffung der Pflicht, Altersrenten mit Abschlag in Anspruch zu nehmen, falsch. So wurden außerdem Frühverrentungen gefördert: In Kombination mit dem zweijährigen Arbeitslosengeldbezug und der Ausweitung des Vermögensschutzes beim Bürgergeld wurde eine Brücke in die abschlagsfreie Rente gebaut.
4. Regelbedarfe auf das Existenzminimum begrenzen:
Die Methode zur Ermittlung des Regelbedarfs muss so ausgestaltet sein, dass damit möglichst genau das Existenzminimum abgebildet wird. Gleichzeitig braucht es einen Mechanismus, mit dem auf eine steigende Inflation reagiert werden kann, ohne über sie hinaus zu schießen. Zu zielgenauen Regelbedarfen gehört auch, dass sie im Falle einer Deflation abgesenkt werden und Einsparpotenziale großer Bedarfsgemeinschaften abbilden. Eine entsprechende Regelung existiert im Asylbewerberleistungsgesetz. Wenn Regelbedarfe langfristig und flächendeckend über dem tatsächlichen Bedarf liegen, ist das ungerecht denen gegenüber, die die Grundsicherung mit ihren Steuern finanzieren und verringert den Anreiz, zügig wieder eine Arbeit aufzunehmen und selbst wieder auf eigenen Beinen zu stehen.
5. Arbeit muss sich lohnen:
Das System muss so ausgestaltet sein, dass es sich lohnt, sich aus dem Leistungsbezug herauszuarbeiten. Kleine Einkommen müssen stärker und höhere Einkommen weniger stark auf existenzsichernde Leistungen angerechnet werden. Derzeit bestehen insbesondere bei hohen Wohnkosten nur geringe Anreize, die Erwerbstätigkeit auszuweiten. Einem Paar mit zwei Kindern in München, das das Brutto-Haushaltseinkommen von 3.000 € auf 5.000 € steigert, bleiben weniger als 100 € mehr netto übrig.[2] Das motiviert nicht. Hier müssen mehr Anreize geschaffen und andere Unterstützungssysteme, wie das Wohngeld mitbedacht werden. Für mehr Netto vom Brutto braucht es außerdem nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen in den Sozialversicherungen, die den Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf unter 40 % begrenzen. Sozialversicherungsbeiträge werden im Gegensatz zu Steuern auch von Geringverdienern gezahlt. Je höher sie sind, desto attraktiver kann bei falschen Rahmenbedingungen der Bezug von Sozialleistungen sein.
6. Thema Wohnen umfassend adressieren:
Werden Kosten für Wohnen und Heizung bei einem angespannten Wohnungsmarkt ohne weitere Prüfung für einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft übernommen, macht das die Grundsicherung attraktiver. Schon heute lassen die hohen Mieten in einigen Regionen die Leistungsansprüche einzelner Haushalte auf über 3.000 € ansteigen. Das ist vielen Normalverdienerinnen und -verdienern, die ihre Miete und Heizkosten selbst zahlen müssen, schwer zu vermitteln. Lange Karenzzeiten beim Wohnen sollte es daher nicht geben. Regelungen zur Angemessenheit der Wohnkosten – wie vom Bundesrechnungshof vorgeschlagen – sollten vereinheitlicht und konsequent angewandt werden. Obwohl der Bund im aktuellen System 74 % der Kosten der Unterkunft trägt, hat er kein Weisungsrecht über die Umsetzung in den Kommunen vor Ort. Dem Bund müssen Kontrollmöglichkeiten eingeräumt werden. Schon jetzt liegen die von den Jobcentern übernommenen Wohnkosten in vielen Regionen weit oberhalb der dort üblichen durchschnittlichen Mieten. In München kostet der übernommene Quadratmeter über 50 % mehr, im Hochtaunuskreis sind es mehr als 30 %.[3] Durch die Übernahme hoher Mieten werden Preise im unteren Marktsegment definiert und die Mieten insgesamt in die Höhe getrieben. Das gefährdet nicht nur den sozialen Frieden, sondern verschärft die Lage auf dem Wohnungsmarkt für Gering- und Durchschnittsverdienende. Es sollten Anreize geschaffen werden, als Bedarfsgemeinschaft die Wohnkosten zu senken. Das Thema Wohnen kann jedoch nicht allein über das Grundsicherungssystem gelöst werden. Notwendig ist eine nachhaltige Wohnungspolitik für Gering- und Durchschnittsverdienende. Es ist keine Lösung, das Wohngeld immer weiter auszuweiten und so große Teile des Mietmarktes staatlich zu subventionieren. Stattdessen braucht es Rahmenbedingungen, die günstiges und zügiges Bauen ermöglichen.
7. Doppelstrukturen abbauen und Zusammenarbeit an den Schnittstellen vereinfachen:
Das bestehende System der Arbeitsverwaltung mit Arbeitsagenturen, gemeinsamen Einrichtungen und zugelassenen kommunalen Trägern schafft Doppelstrukturen und Synergieverluste. Die Sicherungssysteme Wohngeld und Kinderzuschlag mit unterschiedlichen Einkommensbegriffen und Anrechnungsmöglichkeiten tragen zusätzlich zur Komplexität bei. Das ist dauerhaft nicht administrier- und finanzierbar. Das System der Arbeitsverwaltung mit seinen Doppelstrukturen muss insgesamt auf den Prüfstand gestellt und die steuerfinanzierten Geldleistungen vereinfacht und gebündelt werden. Notwendig ist auch eine trennscharfe Abgrenzung des Grundsicherungssystems zum System der Risikoabsicherung durch die Arbeitslosenversicherung. An den Schnittstellen braucht es enge und auch schnelle Abstimmungsprozesse, die die Verwaltung entlasten und Menschen schnell (wieder) in Arbeit bringen. Denn lange Phasen der Erwerbslosigkeit reduzieren die Chancen, wieder nachhaltig in Arbeit zu kommen. Über die Hälfte der aktuell Grundsicherungsbeziehenden weist multiple Hemmnisse, wie fehlende Kinderbetreuung, fehlende Sprachkenntnisse oder gesundheitliche Beeinträchtigungen auf. Jedes zusätzliche Hemmnis halbiert die Vermittlungschance. Notwendig ist daher eine enge Zusammenarbeit aller relevanten Netzwerkpartner: Kommunen, Krankenkassen, Reha-Trägern und den verantwortlichen Stellen für die Sprachförderung, insbesondere mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
8. Klischeefreie Beratung für alle:
Den Menschen muss nicht nur mehr zugemutet, ihnen kann auch mehr zugetraut werden. Häufig wird bei Frauen „Mutter sein“ pauschal, als Hemmnis gewertet, bei den Männern ist „Vater sein“ hingegen kein Hemmnis. Auch bei Menschen mit Behinderungen schaut die Gesellschaft immer noch eher auf Schwächen statt auf Stärken. Solche Klischees dürfen sich nicht in der Arbeit derer spiegeln, die die Menschen betreuen und beraten, denn Entmutigung erschwert den Weg in Ausbildung und Beschäftigung. Klischees der Gesellschaft dürfen erst recht nicht durch den rechtlichen Rahmen gestützt werden. Gerade Alleinerziehende und Frauen sind vielfach besonders motiviert, zu arbeiten. Viele berufstätige Alleinerziehende und Familien müssen sich zumeist nach einem Jahr Elternzeit um die Kinderbetreuung kümmern. Im bestehenden Grundsicherungssystem kann sich hingegen zumindest ein Elternteil bis zum dritten Lebensjahr des Kindes darauf berufen, dass die Aufnahme einer Beschäftigung oder die Teilnahme an einer Maßnahme nicht zumutbar ist. Hier muss ein Gleichlauf zum Elterngeld geschaffen werden: Auch für Eltern im Grundsicherungssystem muss gelten, dass ein Jahr nach der Geburt Erwerbstätigkeit wieder zumutbar ist.
[1] BVerfG Urteil vom 5. November 2019, - 1 BvL 7/16 - Rn. 209..
[2] Blömer, M., Fischer, L., Pannier, M., & Peichl, A. (2024). " Lohnt" sich Arbeit noch? Lohnabstand und Arbeitsanreize im Jahr 2024. ifo Schnelldienst, 77(01), 35-38.
[3] Pestel Institut gGmbH Hannover (2024): Bauen und Wohnen 2024 in Deutschland.
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