Grenzüberschreitendes mobiles Arbeiten: Anschlussregelung mit Luft nach oben

BDA AGENDA 9/23 | Thema der Woche | 4. Mai 2023

Spätestens seit der Covid-19-Pandemie ist das mobile Arbeiten ein fester Bestandteil im Arbeitsalltag vieler Beschäftigter – oft auch aus dem Ausland. Sozialversicherungsrechtlich gelten dabei Beschränkungen, die im Sinne flexibler Arbeitsgestaltung auf den Prüfstand gehören. Die nun von der EU-Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verabschiedete Rahmenvereinbarung zum grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten ist dafür ein erster Schritt.

Die Covid-19-Pandemie hat den ohnehin bestehenden Trend zum mobilen Arbeiten enorm verstärkt. Für Beschäftigte, die ihre Arbeit mit Hilfe digitaler Endgeräte grundsätzlich ortsungebunden erledigen können, gehört das klassische „Home Office“ häufig ebenso zum Arbeitsalltag wie das flexible Arbeiten während einer Zugfahrt oder im Café. Auch der Wunsch, mobil aus dem Ausland zu arbeiten, z. B. ein paar Tage vor oder nach dem Urlaub oder im Rahmen einer sogenannten Workation, wird seitens der Beschäftigten immer öfter an die Unternehmen herangetragen.

Sozialversicherungsrechtlich betrachtet wirft das grenzüberschreitende mobile Arbeiten allerdings einige Fragen auf, da geklärt werden muss, welches Sozialversicherungssystem Anwendung findet: das des Aufenthalts- bzw. Wohnstaats oder das des Beschäftigungsstaats? Dabei müssen neben den bereits angesprochenen „Urlaubsausnahmen“ auch die Fälle von Grenzgängerinnen und Grenzgängern berücksichtigt werden, die regelmäßig zwischen ihrer Arbeitsstelle in einem Mitgliedstaat und ihrem Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat pendeln.

Anwendbares Sozialrecht bei grenzüberschreitender mobiler Arbeit

Nach der maßgeblichen Verordnung (EG) 883/2004 sowie der dazugehörigen Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 ist die Lage wie folgt:

  • Wird die grenzüberschreitende mobile Arbeit ausschließlich aus dem Ausland erbracht, greift das Sozialversicherungssystem des Wohnstaats.
  • Wird die grenzüberschreitende mobile Arbeit nur ausnahmsweise (etwa im Fall einer „Workation“) aus dem Ausland erbracht, gilt weiterhin das Sozialversicherungssystem des Beschäftigungsstaats.

Bei Personen, die regelmäßig, aber nicht ausschließlich grenzüberschreitend mobil arbeiten, bestimmt sich das anzuwendende Sozialversicherungsrecht nach dem Anteil der mobilen Arbeit:

  • Liegt dieser Anteil unter 25 Prozent, gilt das Sozialversicherungssystem des Beschäftigungsstaats.
  • Liegt der Anteil hingegen über 25 Prozent, greift das Recht des Wohnstaats.

Unbürokratische Übergangslösung während Covid-19-Pandemie

Die Covid-19-Pandemie hat diese Regelung vor eine große Herausforderung gestellt. Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die im Sinne der Abstands- und Hygieneregeln wie ihre Kolleginnen und Kollegen und viele Beschäftigte weltweit vollständig im „Home Office“ arbeiten wollten, hätten unter den geltenden Bestimmungen vom Sozialversicherungssystem ihres Beschäftigungsstaats in das System ihres Wohnstaats wechseln müssen.

Soll weiterhin das Recht des Beschäftigungsstaats gelten, räumt Art. 16 der Verordnung 883 zwar die Möglichkeit ein, entsprechende Genehmigungen zu beantragen – dies muss jedoch für jede Person individuell geschehen, was zu einem entsprechenden administrativen Aufwand führt. Auf EU-Ebene wurden daher unbürokratisch Übergangslösungen vereinbart, um die grenzüberschreitende mobile Arbeit ohne die eigentlich geltenden Einschränkungen zu ermöglichen.

Diese Ausnahmeregelungen laufen Ende Juni dieses Jahres aus. Um den Bedürfnissen der Beschäftigten nach flexibler mobiler Arbeit und auch dem Wunsch der Unternehmen nach Rechtssicherheit gerecht zu werden, braucht es eine Anschlussregelung.

Ab Juli 2023: vereinfachtes Verfahren für Ausnahmeregelungen

Die EU-Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit hat vor diesem Hintergrund eine Rahmenvereinbarung zum grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten erarbeitet:

Wenn der Anteil der grenzüberschreitenden mobilen Arbeit zwischen 25 und 50 Prozent der Beschäftigung liegt, können die Mitgliedstaaten untereinander vereinbaren, weiter das Sozialrecht des Beschäftigungsstaats anzuwenden.

Kern der Vereinbarung ist eine Standardisierung des Verfahrens, Anträge auf Ausnahmen nach Art. 16 der Verordnung 883 unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen automatisch zu genehmigen. So wird das bestehende Regelwerk nicht erweitert, sondern lediglich der Verwaltungsaufwand für das Antragsverfahren reduziert und beschleunigt. Nach Eingang des Antrags des Arbeitgebers prüft der zuständige Träger des Beschäftigungsstaats, ob die Bedingungen der Rahmenvereinbarung erfüllt sind. Ist dies der Fall, wird eine A1-Bescheinigung ausgestellt und der zuständige Träger des Wohnstaats elektronisch informiert. Dieser erteilt dann, basierend auf den Bestimmungen der Rahmenvereinbarung, automatisch seine Genehmigung, ohne noch einmal separat eine Prüfung durchzuführen. Entsprechende Ausnahmeregelungen sollen nur für maximal drei Jahre getroffen werden, mit der Möglichkeit, diese auf Antrag zu verlängern.

Die Rahmenvereinbarung tritt zum 1. Juli 2023 in Kraft, sofern sie von mindestens zwei Mitgliedstaaten unterzeichnet wird. Gelten wird sie lediglich in den Mitgliedstaaten, die sich der Vereinbarung anschließen. Sie findet keine Anwendung, wenn nur ein involvierter Mitgliedstaat unterzeichnet hat. Ein späterer Beitritt ist für die Mitgliedstaaten jederzeit möglich, ebenso wie ein Austritt. Die Rahmenvereinbarung gilt für fünf Jahre und verlängert sich danach regelmäßig und automatisch für weitere fünf Jahre.

Vollständige Rechtssicherheit nur durch Regelung im Rahmen der 883-Revision

Auch wenn mit der Anschlussregelung verhindert wird, dass nach dem Auslaufen der Übergangslösung aus der Covid-19-Pandemie ausschließlich die wenig zeitgemäßen Vorgaben der Verordnungen 883 und 987 gelten, bleibt aus Arbeitgebersicht noch Luft nach oben. So droht potenziell ein uneinheitliches Vorgehen im EU-Binnenmarkt, da die Rahmenvereinbarung nicht für alle Mitgliedstaaten bindend ist.

Zudem können auch in Zukunft Grenzgängerinnen und Grenzgänger beim „flexiblen mobilen Arbeiten“ nicht genauso wie Kolleginnen und Kollegen behandelt werden, die nicht zwischen Wohn- und Beschäftigungsstaat wechseln: Letztere können theoretisch die gesamte Arbeitswoche von zu Hause arbeiten, während dies für Beschäftigte mit Wohnsitz im EU-Ausland nicht ohne Vereinbarung nach den bereits etablierten Regeln gemäß Art. 16 möglich ist. Nur eine Regelung im Rahmen der laufenden Revision der Verordnung (EG) 883/2004 sorgt für die notwendige Verbindlichkeit und vollständige Rechtssicherheit beim grenzüberschreitenden mobilen Arbeiten.