Die Zeitenwende muss auch in den Unternehmen stattfinden


BDA AGENDA 08/24 | KOMMENTAR DER WOCHE | 25. April 2024

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, MdB

Der russische Überfall auf die Ukraine hat die internationale Sicherheitsarchitektur komplett ins Wanken gebracht und stellt auch das europäische Friedensprojekt vor ungeahnten Herausforderungen. Wladimir Putin führt nicht nur einen imperialistischen Feldzug gegen das Nachbarland. Mit seinen Raketen und hybriden Angriffen, zielt er auch auf die europäischen Werte der Freiheit und der Demokratie. Es ist daher von zentraler Bedeutung, nicht nur die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf militärisch und wirtschaftlich zu unterstützen.

Deutschland muss sich in Gänze der Realität stellen. Die Bundeswehr muss neben den internationalen Einsätzen wieder verstärkt auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet werden. Sie muss vor allem entsprechend so ausgerüstet werden, dass sie ihre vielseitigen Verpflichtungen erfüllen kann.

Jahrelang hat sich die Bundesregierung, wenn im Haushalt Mittel gesucht wurden, immer wieder am Verteidigungshaushalt bedient. Die Bundeswehr schrumpfte zusammen auf 182.000 Männer und Frauen, wichtige Investitionen in Material und Infrastruktur auf unbestimmte Zeit verschoben. Nach dem ersten Angriff Putins auf den Donbas und der Annexion der Krim 2014 wurde der Wehretat zwar sukzessiv erhöht, aber die Kaltstartfähigkeit und damit die Einsatzbereitschaft der Armee nicht entsprechend aufgebaut. Das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro bietet jetzt die große Möglichkeit, die Bundeswehr wieder zu einer schlagkräftigen und modernen Armee zu machen. Denn Einsatzbereitschaft ist Attraktivität. Nur eine einsatzbereite Armee ist auch für potenzielle junge Menschen als Arbeitgeber interessant. Militärische Präsenz ist ohne ausreichendes Personal nämlich nicht wirkungsstark, besonders wenn es auch um den Wiederaufbau des Heimatschutzes geht.

In diesem Kontext wird wieder vermehrt über die Reaktivierung der Wehrpflicht diskutiert und dabei von den Befürwortern ausgeblendet, dass Deutschland weder die Infrastruktur noch die Ausbilder noch das Material hat, um circa 500.000 bis 600.000 Männer und auch Frauen pro Jahr auszubilden. Neben den Kosten von mindestens 10 Milliarden Euro im Jahr würden uns jedes Jahr junge Menschen fehlen, die in die Ausbildung, ins Handwerk oder ins Studium gehen würden. Angesichts des demographischen Faktors schon jetzt ein volkswirtschaftlich riesiges Problem. Wir als Freie Demokraten schlagen vor, alle circa 900.000 Reservistinnen und Reservisten zu mustern und sie und ihre Fähigkeiten zu aktivieren.

Dabei werden auch die Unternehmen eine wichtige Rolle spielen müssen, indem sie ihren Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, sich in der Reserve zu engagieren. Das betrifft unterschiedlichste Berufsgruppen, die im Rahmen der neuen Heimatschutzeinheiten aktiv sein könnten. Außerdem könnten sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freiwillig verpflichten, sich bei der Bundeswehr in bestimmten Bereichen ausbilden zu lassen. Auch das ginge selbstverständlich nur wenn der Arbeitgeber bereit ist, ein solches Engagement zu unterstützen, denn jedes Unternehmen kann seinen Teil zur Zeitenwende beitragen und damit gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Die Welt ist seit dem 24. Februar 2022 nicht mehr dieselbe. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat die komplette Erde ins Wanken gebracht und stellt uns sicherheitspolitisch vor völlig neue Herausforderungen. Die Zeit der Friedensdividende ist vorbei. Es gehören der Realität ins Auge geschaut und gesamtgesellschaftliche Antworten gefunden. Damit wir, unsere Kinder und Enkelkinder in Deutschland und Europa auch in Zukunft in Frieden und Freiheit leben können.