Europäisches Parlament verabschiedet Initiativbericht zum „Recht auf Nichterreichbarkeit“
EU-Rechtsvorschriften zur Abkopplung von digitalen Arbeitsgeräten für Arbeitnehmer würden fehlen, findet die Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament. Dabei sind Arbeitszeit und Arbeitsschutz längst umfassend reguliert.
Das Europäische Parlament hat am 21. Januar 2021 einen legislativen Initiativbericht zum „Recht auf Nichterreichbarkeit“ beschlossen und fordert die Kommission darin auf, eine entsprechende Richtlinie vorzulegen. Die Abgeordneten argumentieren, dass aktuell keine spezifischen EU-Rechtsvorschriften über das Recht der Arbeitnehmer existierten, sich von zu Arbeitszwecken genutzten digitalen Werkzeugen abzukoppeln. Der durch die Covid-19-Pandemie beschleunigte Digitalisierungstrend habe dies unterstrichen. „Nichterreichbarkeit“ bedeute, dass Arbeitnehmer außerhalb der Arbeitszeit weder direkt noch indirekt mittels digitaler Werkzeuge arbeitsbezogen tätig sind oder kommunizieren.
Umgesetzt werden soll das Recht auf Nichterreichbarkeit u. a. durch eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber. Zudem sollen besondere Schutzvorschriften und umfangreiche Informationsansprüche für Arbeitnehmer sowie Sanktionsvorschriften gegenüber den Arbeitgebern zur Durchsetzung geschaffen werden.
Im Vorfeld der Abstimmung hatten die europäischen Arbeitgeber die Notwendigkeit eines speziellen Rechtes auf Nichterreichbarkeit zurückgewiesen: Schon heute müssen keine Mitarbeiter immer und ununterbrochen für seinen Arbeitgeber erreichbar sein. Dies sei längst umfangreich durch Gesetzgebung geregelt, allen voran durch die EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und durch das darauf basierende deutsche Arbeitszeitgesetz, aber beispielsweise auch durch die Rahmenrichtlinie zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz (89/391/EWG).
Darüber hinaus haben sich die Europäischen Sozialpartner erst Mitte 2020 auf ein Rahmenabkommen zur Digitalisierung verständigt. Auch das Thema „Connecting/Disconnecting“ wird darin thematisiert. Zwar stellt das EP in seiner Entschließung fest, dass jegliche Gesetzgebung vor Ablauf der dreijährigen Umsetzungsfrist des Abkommens die Rolle der Sozialpartner außer Acht lassen würde – formuliert aber keine Absage an weitergehende legislative Maßnahmen nach Ablauf dieser Frist.
Stattdessen bedarf es individueller Lösungen auf Ebene der Unternehmen: Die Arbeitswelt und die Wünsche vieler Arbeitnehmer werden immer flexibler – ein starres Korsett aufzuzwingen, hätte genau das Gegenteil der politisch gewünschten Unterstützung mobiler Arbeit zur Folge.
Die Kommission hat nun drei Monate Zeit, die Initiative entweder aufzunehmen oder begründet abzulehnen. Im Rahmen der Aussprache im Plenum betonte Nicolas Schmit, EU-Beschäftigungskommissar, dass er die Sozialpartner in dieser Sache an vorderster Front sehe.