Die ersten 100 Tage


BDA AGENDA 23/21 | Thema der Woche | 30. September 2021

Nach der Bundestagswahl muss jetzt durchgestartet werden. Deutschland steht vor riesigen Herausforderungen. Für Stillstand haben wir keine Zeit. Wir brauchen eine Politik, die den Turbo anschaltet.

Deutschland hat gewählt und mehrere Regierungskoalitionen sind möglich. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine Partei den Kanzler stellen, die nur 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Die Machtarithmetik in der neuen Koalition zwischen „großen“ und „kleinen“ Parteien wird neu gesetzt werden. Politisch wird sich also einiges ändern. Die Aufgaben bleiben hingegen weitgehend die alten.

Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel in Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft. Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel erfordern entscheidende Weichenstellungen. Ein wichtiger Schlüssel für einen erfolgreichen Strukturwandel ist eine starke Wirtschaft.

Dafür brauchen wir eine mutige Zukunftsagenda 2030. Was muss die neue Bundesregierung in den ersten 100 Tagen also anpacken? Zuallererst warten die Unternehmen auf ein Entfesselungsprogramm mit einer umfangreichen Entbürokratisierung. Unser Land wirkt nicht nur in Teilen dysfunktional, es ist dysfunktional. Schwerpunkte sollten deshalb ein Planungsrecht sein, das Investitionen beschleunigt und nicht verhindert, sowie eine schnellere Digitalisierung der Verwaltung. Zudem sollte uns in einem zweiten Schritt der Weg raus aus dem Krisenmodus und rein in den Reformmodus gelingen. Also: Keine weiteren Belastungen für die Wirtschaft, stattdessen Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent. Ebenfalls zentral: Eine verlässliche Steuer- und Finanzpolitik, zu der die vollständige Abschaffung des Solis ebenso gehört wie eine klare Absage an Steuererhöhungen. Sonst wird aus dem erwünschten Aufschwung nach Corona sehr schnell ein Abschwung.

Ein zentraler Punkt ist auch die Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt und bei der Arbeitszeit. Keine Einschränkung befristeter Arbeit sowie eine Umstellung der Tages- auf die Wochenhöchstarbeitszeit analog zur EU-Arbeitszeitrichtlinie ist das Gebot der Stunde, um Unternehmen und Beschäftigten ein Mindestmaß an Flexibilität zu ermöglichen. Auch personelle Anforderungen von Unternehmen können sich sehr schnell ändern. Um darauf reagieren zu können, ist Zeitarbeit das wichtigste Flexibilisierungsinstrument auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Mit Zeitarbeit ist der Übergang aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung zu schaffen. Das zeigt: Flexibilität ist die neue Sicherheit.

Flexibel mussten in den vergangenen Monaten auch die Schulen sein. Viele Behelfsmaßnahmen in der Krise wären mit einer konsequenten Digitalisierung unseres Bildungssystems nicht nötig gewesen. Daran muss nun mit Hochdruck gearbeitet werden.

Ein Topthema aus Sicht der Wirtschaft bleibt der zunehmende Fachkräftemangel. Damit Deutschland wettbewerbsfähig bleibt, sollte die neue Bundesregierung die Verfahren für eine gezielte und qualifizierte Fachkräftezuwanderung vereinfachen und beschleunigen. Klar ist auch, dass sich die Arbeitgeber mehr Respekt für die funktionierende Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie wünschen. Politische Einflussnahme auf die Höhe des Mindestlohns wirkt da kontraproduktiv. Die Politik sollte stattdessen die Mindestlohnkommission ihren Job machen lassen.

Auch wenn noch unklar ist, wer die nächste Bundesregierung stellt: Deutschland steht vor tiefgreifenden Veränderungen – aufgrund weltweiter Trends, aber auch als Resultat eigener Richtungsentscheidungen in der Vergangenheit. Wie gelingt die Transformation im Bereich Digitalisierung, in der Arbeitswelt, in der Verwaltung, in der Energieerzeugung? Für all diese Fragen muss eine klare, neue Verantwortlichkeit installiert werden – am besten mit einem koordinierenden Staatsminister für Strukturwandel im Bundeskanzleramt, der die Übersicht behält und als Tempomacher fungiert.

In den ersten 100 Tagen gibt es viel zu tun.