28. EU-Rechtsrahmen: keine Eingriffe ins Arbeits- und Mitbestimmungsrecht
Stellungnahme zum durch die Europäische Kommission geplanten 28. EU-Rechtsrahmen und dem Entwurf des legislativen Initiativberichts des Europäischen Parlaments (2205/2079(INL))
25. September 2025
Zusammenfassung
Das Gesellschaftsrecht ist mit 27 mitgliedstaatlichen Rechtsrahmen innerhalb der EU fragmentiert. Der geplante 28. EU-Rechtsrahmen bietet die Chance, den europäischen Binnenmarkt gezielt zu stärken – durch eine einfache, rechtssichere und digital nutzbare Unternehmensform, die insbesondere jungen, innovativen und grenzüberschreitend tätigen Unternehmen einen echten Mehrwert bietet.
Damit dieses Potenzial ausgeschöpft werden kann, muss sich der Rechtsrahmen auf das Wesentliche konzentrieren: eine effiziente, schlanke und freiwillig wählbare Alternative zum nationalen Gesellschaftsrecht, die zu Unternehmensgründungen motiviert, Arbeitsplätze schafft und Investitionen fördert.
Arbeitsrechtliche Fragen – ob im individuellen oder kollektiven Bereich oder im Zusammenhang mit der Mitbestimmung – sollten davon ausgenommen bleiben. Sie sind eng mit nationalen Traditionen und Strukturen verknüpft und lassen sich hier im Rahmen eines optionalen europäischen Gesellschaftsrechts weder rechtssicher noch praxistauglich harmonisieren. Der 28. Rechtsrahmen sollte daher im Bereich des Arbeitsrechts an die bestehenden nationalen Systeme anknüpfen und deren Zuständigkeit uneingeschränkt achten.
Ein gezielter europäischer Beitrag kann hingegen im Bereich der Mitarbeiterkapitalbeteiligung geleistet werden. Flexible und rechtssichere Rahmenbedingungen – auch mit Blick auf die steuerliche Behandlung – können dabei helfen, Fachkräfte zu gewinnen, Innovation zu fördern und Wachstum zu sichern.
Im Einzelnen
Stärkung des europäischen Binnenmarkts durch einen neuen EU-Rechtsrahmen
Die Überlegungen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments zur Einführung eines 28. Rechtsrahmens (sog. 28. Regime) sind ein wichtiger Impuls für die Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarkts. Die Vorschläge im Bericht von Enrico Letta aus dem Frühjahr 2024 und die Ankündigungen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit müssen nun in konkrete Vorhaben überführt werden.
Die Kommission sollte einen Rechtsrahmen vorschlagen, der Unternehmensgründung sowie Beschäftigung und unternehmerisches Engagement erleichtert. Dabei sollte das Ziel des Rechtsrahmens sein, innovativen Unternehmen auf freiwilliger Basis eine einfache, verlässliche und grenzüberschreitend nutzbare Gesellschaftsform zur Verfügung zu stellen. Besonders junge, wachstumsorientierte Unternehmen müssen dadurch die Möglichkeit erhalten, Kapital aufzunehmen, zu expandieren und im europäischen Binnenmarkt zu skalieren – ohne dafür ins außereuropäische Ausland abwandern zu müssen.
Der Entwurf des deutschen Berichterstatters René Repasi (S&D) für einen legislativen Initiativbericht, der aktuell im Europäischen Parlament verhandelt wird, bietet für die Erreichung dieses Ziels bereits gute Ansätze.
Der neue Rechtsrahmen sollte pragmatisch, rechtssicher und effizient ausgestaltet und auf das Wesentliche fokussiert sein. Eine Überfrachtung, insbesondere mit arbeits- und mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften – wie es früher oft bei gesellschaftsrechtlichen Initiativen der Fall war – ist unbedingt zu vermeiden: Während bei der Schaffung des Statuts für eine europäische Gesellschaft (Societas Europaea, SE) noch viele Jahre bis zu einer Einigung verhandelt wurde, sind spätere Initiativen zur Einführung einer Societas Privata Europaea (SPE) und einer Societas Unius Personae (SUP) auch daran gescheitert, dass sie arbeits- und mitbestimmungsrechtliche Regelungen enthielten.
Der Versuch, über die diskutierte Rechtsgrundlage Art. 50 i. V. m. Art. 114 AEUV (Binnenmarkt) arbeits- und mitbestimmungsrechtliche Inhalte „durch die Hintertür“ einzuführen, wäre nicht zuletzt vor diesem Hintergrund europarechtlich problematisch und politisch kontraproduktiv. Auch eine Anwendung von Art. 352 AEUV (Tätigwerden in einem nicht durch die Verträge vorgesehenen Bereich) würde wegen des Erfordernisses einstimmiger Zustimmung im Rat kaum zum Erfolg führen.
Bei der Ausgestaltung des 28. Rechtsrahmens müssen vor allem die folgenden Aspekte im Mittelpunkt stehen: Zum einen sollte eine einfache, mitgliedstaatsübergreifende Unternehmensgründung ermöglicht werden – etwa durch ein EU-weit einheitliches digitales Register und schlanke Anmeldeverfahren. Diese sollten die Gründungskosten für Unternehmen begrenzen und potenziellen Investoren strukturierte, vergleichbare Informationen über das Unternehmen bereitstellen. Darüber hinaus sind einheitliche und effiziente Mechanismen zur Streitbeilegung erforderlich, etwa durch spezielle Kammern oder Handelsgerichte mit klarer Zuständigkeit, die idealerweise auch Verhandlungen in englischer Sprache ermöglichen. Des Weiteren braucht es klare und praktikable Vorgaben für die Ausgestaltung der Satzung eines Unternehmens, das sich freiwillig für den 28. Rechtsrahmen entscheidet.
Individualarbeitsrecht – bewährte Kollisionsnormen bieten ausreichenden Schutz
Das 28. Regime sollte keine besonderen europäischen Regelungen für individuelle Arbeitsverträge enthalten. Die geltenden Vorschriften des europäischen Kollisionsrechts, insbesondere Art. 8 der Rom-I-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 593/2008), bieten bereits eine ausbalancierte Lösung: Liegt keine Rechtswahl vor, gilt das Recht des Staates, in dem oder von dem aus gewöhnlich gearbeitet wird. Nur in Ausnahmefällen kommt ein anderes Recht zur Anwendung, wenn eine engere Verbindung zu einem bestimmten Staat vorliegt.
Die Regelungen ermöglichen einerseits Vertragsfreiheit, wahren andererseits den Schutz zwingender Vorschriften zugunsten von Arbeitnehmern. So wird sichergestellt, dass Beschäftigte – unabhängig von der Wahl des anwendbaren Rechts – nicht schlechter gestellt werden.
Dieses System ist bewährt, rechtssicher und praxistauglich. Eine arbeitsrechtliche Sonderregelung im Rahmen des 28. Rechtsrahmens würde diesen unnötig verkomplizieren, ohne erkennbare Vorteile zu bieten. Unternehmen und Beschäftigte profitieren gleichermaßen von der bestehenden Regelung. Weitere Vorschriften sind für den 28. Rechtsrahmen nicht erforderlich.
Kollektivarbeitsrecht – nationale Sozialpartnerschaft bleibt maßgeblich
Das kollektive Arbeitsrecht sollte nicht Teil des 28. Rechtsrahmens sein. Die EU verfügt in diesem Bereich nur über eine begrenzte Regelungskompetenz. Zwar erlaubt Art. 153 AEUV die Schaffung von unionsweiten Mindestbestimmungen, doch unterliegt dieser Bereich besonderen Verfahren und politischen Hürden. Für Regelungen mit kollektivrechtlichem Bezug ist Einstimmigkeit im Rat erforderlich, was realistisch kaum zu erreichen ist.
Abgesehen davon spricht auch die Logik des kollektiven Arbeitsrechts gegen eine europäische Regelung im Rahmen eines optionalen Gesellschaftsrechts. Kollektives Arbeitsrecht basiert auf der Tarifautonomie und dem Zusammenwirken der nationalen Sozialpartner – Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände verhandeln autonom, gestützt auf gewachsene Strukturen und spezifische nationale Rahmenbedingungen. Diese Vielfalt ist kein Hindernis, sondern Ausdruck funktionierender Sozialpartnerschaft.
Der Versuch, diese Systeme auf EU-Ebene zu vereinheitlichen, würde scheitern. Für Unternehmen, die den 28. Rechtsrahmen nutzen, sollte daher gelten, dass kollektivarbeitsrechtliche Fragen sich nach dem Recht desjenigen Mitgliedstaats richten, in dem das Unternehmen seinen satzungsmäßigen Sitz hat.
Mitbestimmung – Sitzstaatsprinzip sichert praxistaugliche Lösungen
Mitbestimmungsrechtliche Fragen sollten auch nicht im Rahmen des 28. Regimes geregelt werden. Das geltende Mitbestimmungsrecht des Sitzstaates sollte allein ausschlaggebend sein. Ein eigenständiges europäisches Modell – etwa nach dem Vorbild der SE, das vorsieht, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter über grenzüberschreitende Mitbestimmung verhandeln – ist zwar theoretisch denkbar, dürfte in der Praxis jedoch aufgrund der Unternehmensgrößen und -strukturen, für die der 28. Rechtsrahmen gedacht ist, kaum umsetzbar sein:
Eine Regelung der Mitbestimmung im Rahmen des 28. Rechtsrahmens wäre – wie die Erfahrungen mit SE, SPE und SUP zeigen – wegen der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Traditionen nur mit erheblichem Aufwand und langwierigen Verhandlungen möglich. Der 28. Rechtsrahmen sollte jedoch zügig in Kraft treten, effizient und innovationsfreundlich sein. Er richtet sich voraussichtlich an junge und somit kleinere und mittlere Unternehmen, die weder den administrativen noch den rechtlichen Aufwand einer SE leisten können. Ein verhandelbares Mitbestimmungsmodell mit Auffangregelungen wäre für diese Zielgruppe nicht nur ungeeignet, sondern würde auch das zentrale Anliegen eines einfachen, grenzüberschreitenden Rechtsrahmens unterlaufen.
Deshalb gilt, dass das Mitbestimmungsrecht weiterhin Sache des Mitgliedstaats bleiben sollte, in dem das Unternehmen seinen satzungsmäßigen Sitz hat. Auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen oder Spaltungen sollte ausschließlich das nationale Recht gelten – nicht ein europäisch gesteuerter Verhandlungsprozess.
Mitarbeiterkapitalbeteiligung – flexible EU-Regelungen und steuerliche Klarheit entscheidend
Mitarbeiterkapitalbeteiligungen sind ein zentrales Instrument zur Fachkräftebindung und zur Förderung unternehmerischer Motivation. Besonders junge und wachstumsorientierte Unternehmen nutzen in den Mitgliedstaaten Mitarbeiterbeteiligungsprogramme (z. B. Employee Stock Options, ESO), um qualifizierte Talente zu gewinnen, langfristig zu binden und Mitarbeiter am Unternehmenserfolg zu beteiligen.
Die Regelungen zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung im Rahmen des 28. Rechtsrahmens sollten möglichst flexibel ausgestaltet sein. Unternehmen müssen selbst entscheiden können, welche Mitarbeitenden einbezogen werden, ohne durch übermäßige Vorgaben eingeschränkt zu werden. Auch verpflichtende Haltefristen für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen wären kontraproduktiv, da sie die Attraktivität und Anpassungsfähigkeit der Modelle verringern würden.
Ein erhebliches Hindernis beim grenzüberschreitenden Einsatz von ESO sind die unterschiedlichen steuerlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten. Zeitpunkt und Art der Besteuerung sowie die Einordnung der Einkünfte variieren erheblich. Dies führt zu hohem administrativem Aufwand und verunsichert Unternehmen wie Mitarbeitende.
Es braucht EU-weit klare, verlässliche und abgestimmte Rahmenbedingungen, die gleichzeitig die Kompetenzen der Mitgliedstaaten respektieren. Ziel muss sein, den Einsatz von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen zu erleichtern, nicht zu erschweren. So kann der 28. Rechtsrahmen dazu beitragen, die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken.
Die vollständige Stellungnahme steht Ihnen in der rechten Marginalie zum Download zur Verfügung.
Ansprechpartnerin:
BDA | DIE ARBEITGEBER
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Abteilung EU, Internationales, Wirtschaft
T +49 30 2033-1050
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