Der M+E-Tarifabschluss 2024: Ein Abschluss mit Signalwirkung
BDA AGENDA 23/24 | KOMMENTAR DER WOCHE | 21. November 2024
Dr. Stefan Wolf, Präsident Gesamtmetall
Die Ausgangslage war denkbar schwierig. Auf der einen Seite eine starke, sich als Kampforganisation verstehende Gewerkschaft unter neuer Führung, die im Frühjahr – als viele noch auf eine baldige Erholung der Konjunktur setzten – eine Forderung von 7 Prozent aufstellte (plus weitere Forderungen). Auf der anderen Seite eine Industrie, bei der ab Sommer nochmal dramatisch sichtbar wurde, dass die Merkel- und Ampelregierungen in den vergangenen Jahren zu wenig für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts getan haben und in Deutschland eine massive Deindustrialisierung droht.
Spätestens nach den Meldungen von Thyssenkrupp und VW – um die es beide nicht in dieser Tarifrunde ging – war im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen, wie ernst die wirtschaftliche Lage tatsächlich ist. Das war natürlich auch der IG Metall bewusst, die sich allerdings trotzdem lange nicht in der Lage sah, eine auf Basis einer falschen Annahme aufgestellte Forderung zu revidieren und die Lage neu zu bewerten.
Beide Seiten waren sich jedoch in der Analyse der Lage weitgehend einig. Auch darin, dass ein ausgedehntes Zelebrieren der Meinungsverschiedenheiten in dem aktuellen gesellschaftlichen Klima nicht nur Gewerkschaft und Arbeitgebern geschadet hätte, sondern auch dem Ansehen der Tarifautonomie insgesamt.
Und so sind wir Sozialpartner schließlich in die 4. Verhandlungsrunde gegangen. Und es wurde der ganze Werkzeugkoffer, den die Tarifpolitik zur Verfügung stellt, benötigt, um am Morgen des 12. November 2024 zu einem Kompromiss zu gelangen.
Die Details des Tarifabschlusses sind hier nachzulesen. Den der Gewerkschaft wichtigen Tabellenerhöhungen stehen die den Arbeitgebern wichtigen Punkte einer langen Laufzeit von über zwei Jahren und einer ausgeweiteten automatischen Differenzierung entgegen, die die Belastungen des Abschlusses deutlich reduzieren.
Noch wichtiger ist aber das grundsätzliche Signal dieses Tarifabschlusses: Trotz fundamental gegensätzlicher Positionen und Überzeugungen kann man einen Kompromiss finden, der für beide Seiten akzeptabel ist. Wer das als Anspielung auf die ehemalige Ampelregierung versteht, liegt nicht völlig falsch. Aber es ist grundsätzlicher als das. Ob Mindestlohn oder Tarifbindung: Andere Gewerkschaften setzten darauf, sich die Mühe der eigenen Grundlagenarbeit zu ersparen und finden in der Politik zu viele willige Helfer, die vermeintliche Regelungslücken bereitwillig ausfüllen wollen.
Wir – Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände – haben uns das Recht, unsere Angelegenheiten selber zu regeln, gemeinsam erkämpft und es verteidigt. Der Kompromiss ist das Prinzip. Wir dürfen unser Recht nicht aus Bequemlichkeit oder Feigheit vor dem Kompromiss aufgeben. Und die Politik ist gut beraten, der Versuchung zu widerstehen. Dass wir Tarifparteien selbst besser in der Lage sind, zu praxisnahen Kompromissen zu kommen, hat der Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrie 2024 wieder bewiesen.