DQR-Gesetz gefährdet Tarifautonomie und Berufsbildung. Gleichwertigkeit von beruflicher und hochschulischer Bildung konkret und in der Praxis stärken!
Stellungnahme zum „Werkstattgespräch Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung“ von BMBF und BMWK am 4. November 2024 und zur Debatte um eine mögliche Verrechtlichung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR)
30. Oktober 2024
Zusammenfassung
Es ist daher richtig, dass die Politik die bildungspolitische Gleichwertigkeit der beiden Bildungsbereiche adressiert und entschieden stärken will. Falsch ist es, hierzu den Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) zu verrechtlichen. Aus zwei bedeutenden Gründen: Erstens wird ein DQR-Gesetz die berufliche Ausbildung für Schulabgänger weniger attraktiv machen und damit das Gegenteil dessen erreichen, das von seinen Befürwortern als Begründung angeführt wird. Betrieben wird es noch schwerer gemacht, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Die deutsche Fachkräftemisere verschärft sich. Der Wirtschaftsstandort Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit werden weiter belastet. Zweitens wirkt sich die Verrechtlichung des DQR – im Sinne einer gesetzlichen angeordneten Gleichbehandlung entsprechend dem DQR –unweigerlich auf die Tarifpolitik aus. Dies greift in die Grundrechte von Arbeitgebern (Vertragsfreiheit), Tarifpartnern (Tarifautonomie) und Qualifizierten (Berufsfreiheit) ein und führt in einigen Branchen zu Mehrkosten in Milliardenhöhe. Eine Option, den DQR zu verrechtlichen, ohne in die Tarifautonomie einzugreifen, ist nicht erkennbar.
Stattdessen sind konkrete Maßnahmen nötig, wie z. B. stärkenorientierte und klischeefreie Berufsorientierung, mehr Azubi-Wohnen, Azubi-Tickets, gut ausgestattete Berufsschulen und überbetriebliche Bildungsstätten. Zudem muss der Öffentliche Dienst seine höheren Positionen auch für beruflich Qualifizierte öffnen. Bund und Länder haben hier eine Vorbildfunktion. Die Öffnung der Begabtenförderung auch für Azubis war bereits ein richtiger Schritt.
Im Einzelnen
Der DQR funktioniert. Ein DQR-Gesetz geht auf Kosten der beruflichen Bildung!
Der bestehende DQR macht die bildungspolitische Gleichwertigkeit beruflicher und hochschulischer Qualifikationen sichtbar. Ein Gesetz erhöht die Transparenz nicht und führt nicht dazu, die berufliche Bildung zu stärken. Im Gegenteil: Würden sich junge Menschen bei der Entscheidung für einen Bildungsweg zukünftig stärker am DQR orientieren, würde dies auf Kosten der Berufsbildung gehen.
Beispiel:
Eine Abiturientin steht durch ihr Abitur bereits auf DQR-Stufe 4. Entscheidet sie sich für eine duale Ausbildung, bleibt sie auf DQR-Stufe 4. Mit einem Bachelor-Studium jedoch kommt sie auf Stufe 6.
Die Folge wäre eine stärkere Akademisierung. Damit würde ein DQR-Gesetz die stabilen Anfängerzahlen in den Bildungsbereichen torpedieren: Seit 2011 sind die Prozentsätze aller Anfängerinnen und Anfänger, die in Ausbildung (betrieblich und vollzeitschulisch) und ins Studium münden, konstant. Schwankungen in den Jahren 2020 und 2021 sind auf die Corona-Pandemie zurückzuführen. Innerhalb der Berufsausbildung lässt sich allerdings eine Verschiebung hin zu vollzeitschulischen Ausbildungen feststellen. Insgesamt entscheiden sich prozentual und absolut weiterhin deutlich mehr junge Menschen (2023 rd. 212.200 mehr) für eine Ausbildung (dual oder vollzeitschulisch; 2023: 694.000) als für ein Studium (WS 2023/2024: 482.000).
Anstatt die bildungspolitische Gleichwertigkeit von beruflicher und hochschulischer Bildung zu fördern, kann es durch ein DQR-Gesetz für Betriebe zukünftig noch schwieriger werden, Ausbildungsstellen zu besetzen und damit ihren Fachkräftebedarf nachhaltig zu sichern.
Ein DQR-Gesetz gefährdet die Tarifautonomie!
In Deutschland werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Komplexität und Verantwortungslevel ihrer Tätigkeiten vergütet, nicht – unabhängig davon – nach ihrer formalen Qualifikation. Ein DQR-Gesetz wird zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel führen: weg vom Tätigkeitsprofil hin zum formalen Qualifikationslevel oder zur DQR-Stufe. Damit birgt ein DQR-Gesetz ein erhebliches Risiko, sich auf die Tarifautonomie auszuwirken.
Ein DQR-Gesetz könnte zur Folge haben, dass Personen mit einem Meister-Abschluss und Hochschulabsolventinnen und -absolventen mit Bachelor-Abschluss unabhängig von Tätigkeit und Erfahrung gleich bezahlt werden müssen, weil beide Qualifikationen im DQR auf Stufe 6 eingeordnet sind. Dies würde in das Tarifvertragssystem eingreifen und damit in ein bewährtes Instrument unserer Sozialen Marktwirtschaft. Es wären beträchtliche Kosten für tarifgebundene Arbeitgeber zu erwarten. Folge könnte eine weiter abnehmende Tarifbindung sein.
Eine weitere Auswirkung kann sein, dass Fachkräfte nach dualer Ausbildung aus kleinen Unternehmen verstärkt zu größeren Arbeitgebern in Hochlohnbranchen abwandern. Das würde das Fachkräfteproblem in KMU verschärfen.
Beispiel:
Das Entgeltsystem der Metall- und Elektro-Industrie ist tätigkeitsbezogen, nennt jedoch als Referenz immer eine Qualifikation. (Beispiel: „Erforderlich sind Kenntnisse und Fertigkeiten, wie sie in der Regel durch eine abgeschlossene mindestens 3-jährige fachspezifische Berufsausbildung erworben werden.“) Daher sind Qualifikationen, die auf einem Niveau des DQR sind, nicht immer in derselben Entgeltgruppe. So ist beispielsweise ein Bachelor in M+E in der Regel in Entgeltgruppe 8, ein Meister je nach konkreter Tätigkeit in EG 6, 7 oder 8.
Ein DQR-Gesetz darf nicht zu der Vermutung einer gesetzlich angeordneten Gleichbehandlung führen, andernfalls könnte dies am Ende gerichtlich überprüft werden. Wenn es zu einem DQR-Gesetz kommt, müssen tarifliche Auswirkungen ausgeschlossen werden. Eine solche Option ist im Fall einer Verrechtlichung des DQR – im Sinne einer gesetzlichen angeordneten Gleichbehandlung entsprechend dem DQR – nicht erkennbar.
Gleichwertigkeit nicht über ein DQR-Gesetz, sondern konkret in der Praxis stärken!
Sinnvoller als ein DQR-Gesetz ist es, die bildungspolitische Gleichwertigkeit von beruflicher und hochschulischer Bildung gezielt in der Praxis zu stärken. Wichtig ist hierfür vor allem eine flächendeckende, stärkenorientierte und klischeefreie Berufsorientierung an allen Schulen, idealerweise ab der 5. Klasse. Berufliche und akademische Bildung müssen jungen Menschen gleichwertig vorgestellt werden. Dazu gehört auch das Aufzeigen von vergleichbaren Lebenseinkommenschancen über beide Bildungswege. Alle Karriere- und Entwicklungschancen müssen gleichberechtigt und als durchlässig aufgezeigt werden. Jungen Menschen muss verdeutlicht werden: Mit der Berufsbildung und der Hochschulbildung haben wir zwei starke Bildungsbereiche in Deutschland. Beide bieten reizvolle Möglichkeiten. Entscheidend bei der Berufswahl sollten immer die Stärken und Interessen der jungen Menschen und der Bedarf auf dem Arbeitsmarkt sein – nicht die DQR-Stufe.
Die Attraktivität der beruflichen Ausbildung lässt sich zudem konkret steigern durch eine ausreichende Finanzierung für die Ausstattung von Berufsschulen und überbetrieblichen Bildungsstätten. Viele Einrichtungen stammen aus den 1980er und 1990er Jahren, notwendige Investitionen zur Modernisierung fehlen. Hier ist die Politik gefragt, auch beim Lernumfeld für gleichwertige Rahmenbedingungen von beruflicher und hochschulischer Bildung zu sorgen. Das Startchancenprogramms des Bundes kann hier ein Baustein sein.
Ein wichtiger Schritt hin zu einer gleichwertigen gesellschaftlichen Anerkennung wurde vom Bundesbildungsministerium 2024 getan, indem die Begabtenförderung durch die Studienförderwerke von Parteien, Religionsgemeinschaften und Sozialpartnern auch für Auszubildende geöffnet wurde. Weitere notwendige Bausteine, für die sich Bund und Länder engagieren sollten, sind:
- Azubi-Wohnangebote im gleichen Maß wie studentisches Wohnen ausbauen
- landesweit gültige, günstige Azubi-Tickets einführen, entsprechend den Tickets für Studierende
- den Öffentlichen Dienst konsequent auch für Interessierte aus der Berufsbildung öffnen. Sinnvoll ist bspw. eine neue Aufstiegsfortbildung für den höheren Dienst, der bislang ausschließlich für Personen mit akademischer Qualifikation offensteht. Bund und Ländern kommt hier eine wichtige Vorbildrolle zu. Dass wichtige Positionen im Öffentlichen Dienst ausschließlich akademische Qualifikationen voraussetzen, ist nicht mehr zeitgemäß und widerspricht dem Ziel eines durchlässigen Bildungssystems.
Never change a well-functioning system! Der DQR ist ein erfolgreiches Transparenzinstrument und muss es bleiben.
Der DQR wurde mit dem richtigen Ziel entwickelt, das deutsche Bildungssystem transparenter zu machen. Er verdeutlicht seit 2013 die Gleichwertigkeit von allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung und macht Kompetenzen sichtbar. Die formalen Qualifikationen der beruflichen und hochschulischen Bildung werden im Konsens aller Beteiligten – Bund, Länder, Arbeitgeber, Gewerkschaften und Bildungsbereiche – acht Niveaus zugeordnet, die durch Lernergebnisse beschrieben werden. Die vorgenommenen Zuordnungen bauen dadurch auf eine breite Akzeptanz. Dem voraus ging ein intensiver Austausch zwischen Vertreterinnen und Vertretern von Hochschul- und Berufsbildung, um die Arbeit des jeweils anderen Bildungsbereichs kennenzulernen und besser zu verstehen. Bei der Zuordnung des Abiturs gab es zudem intensive Gesprächsrunden mit den Ländern. Dies sind konkrete Erfolge des bestehenden DQR-Systems, das sich in den letzten zehn Jahren etabliert und bewährt hat.
Durch den DQR können sich Qualifizierte und Unternehmen national und international besser orientieren. Er kann auch in Bezug gesetzt werden zu den Niveaus des Europäischen Qualifikationsrahmens EQR. Dadurch werden Qualifikationen international verständlicher und transnationale Mobilität wird gefördert. Inzwischen ist das DQR-Niveau einer formalen Qualifikation auf allen Zeugnissen von Kammern und Hochschulen (dort: Diploma Supplement) ausgewiesen. Lernende werden so deutlich mobiler. Davon profitiert auch die Wirtschaft. Seit April 2024 werden auch Qualifikationen des non-formalen Bereichs dem DQR zugeordnet. Der DQR entwickelt sich also erfolgreich sukzessive weiter.
Der DQR schafft somit erfolgreich und konkret Orientierung und Information – aber keine Sonderrechte. Mit einem bestimmten DQR-Niveau ist weder ein bestimmtes Tarifniveau noch eine Zugangsberechtigung zur nächsthöheren Qualifizierungsstufe verbunden. Über tarifliche Eingruppierungen bestimmen ausschließlich und richtigerweise die Tarifpartner. Sie sind abhängig von Komplexität und Verantwortungslevel der jeweiligen Tätigkeiten. Über Zugänge entscheiden die aufnehmenden Bildungseinrichtungen. Dies muss auch in Zukunft so bleiben.
Ein DQR-Gesetz wäre rechtlich unnötig und hoch bürokratisch!
Das vom BMBF 2021 vorgelegte „Rechtsgutachten zur Klärung juristischer Fragen im Kontext der weiteren Umsetzung des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR)“[1] stellt klar heraus, dass ein DQR-Gesetz weder nach EU-Recht noch nach deutschem Recht nötig ist. Der DQR funktioniert als Transparenzinstrument.
Es gibt keine weiteren Aspekte, die eine gesetzliche Regelung notwendig machen: Es braucht kein Gesetz, um eine Geschäftsstelle oder die DQR-Gremien fachlich und administrativ zu unterstützen. Auch benötigt der Rechtsschutz im Verfahren der Zuordnung von Qualifikationen kein Gesetz. Verweise auf den DQR in Verordnungen, Zeugnissen oder Tarif- und Arbeitsverträgen sind ohne Gesetz wirksam. Wer sich gegen eine missbräuchliche Nutzung des DQR zur Wehr setzen will, dem steht der Rechtsweg offen. Ein DQR-Gesetz wäre also eine rein politische Entscheidung. Rechtlich ist es nicht nötig.
Aufgrund der geteilten Zuständigkeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich wären gesetzliche Regelungen zudem mit hohem bürokratischem und gesetzgeberischem Aufwand verbunden. Im Hochschulbereich liegt die Gesetzgebung in der Kompetenz der Länder, in der beruflichen Bildung in der Kompetenz des Bundes, in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern. Deshalb wäre jede Variante mit erheblichem Abstimmungs- und Einigungsbedarf verbunden.
Die für Bildung zuständige Kultusministerkonferenz sieht folglich keine Notwendigkeit für ein DQR-Gesetz. Ihre Ablehnung hat sie in ihrer Sitzung im Oktober 2021 zuletzt bekräftigt.
Einem DQR-Gesetz wären enge Grenzen gesetzt – mit Klagewellen ist zu rechnen!
Die Vertragsfreiheit der Arbeitgeber, die Freiheit der Berufsausübung und die Tarifautonomie dürfen nicht mit den Regelungen eines DQR-Gesetzes kollidieren. Darüber hinaus kann ein gesetzlich verbindlicher DQR Personen mit älteren oder nicht zugeordneten Qualifikationen in ihrer Berufsfreiheit verletzen. Ausgerechnet ein DQR-Gesetz könnte hier zu Rechtsunsicherheiten und Ungleichbehandlungen führen und eine Klagewelle auslösen.
Vor dem Hintergrund des funktionierenden Status Quo des DQR als Transparenzinstrument wäre all dies kontraproduktiv. Es würde die Akzeptanz des Instruments gefährden.
Der DQR ist nicht mit den Qualifikationsrahmen in Österreich oder der Schweiz vergleichbar!
Weder der schweizerische noch der österreichische Qualifikationsrahmen eignen sich als Blaupause oder als Argument für ein DQR-Gesetz in Deutschland. Zwar ist es richtig, dass sowohl die Schweiz als auch Österreich Nationale Qualifikationsrahmen (NQR) haben, die auf gesetzlichen Regelungen basieren. Allerdings unterscheiden sie sich im Aufbau grundlegend vom deutschen DQR:
In der Schweiz umfasst der NQR ausschließlich formale Qualifikationen der beruflichen Bildung – und auch dies ohne Vollständigkeit. Hochschulische Qualifikationen haben einen eigenen, vom NQR völlig getrennten Qualifikationsrahmen. Genutzt wird der schweizerische NQR dabei ausschließlich für die Transparenz gegenüber internationalen Qualifikationen. Der deutsche Qualifikationsrahmen hat also bereits heute – ohne gesetzliche Grundlage – einen weit größeren Anwendungsbereich als beide Qualifikationsrahmen in der Schweiz.
Der österreichische NQR wiederum hat eine Y-Form, d.h. für berufliche Qualifikationen gelten andere Deskriptoren als für hochschulische. Damit werden berufliche und hochschulische Qualifikationen gerade nicht direkt vergleichbar wie in Deutschland. Das 2016 verabschiedete österreichische Gesetz regelt den Zuordnungsprozess: Es legt fest, dass eine Zuordnung einzig der Information dient und mit keinen weiteren Berechtigungen verbunden ist (§ 1, Abs. 4, NQR-Gesetz).
Die mit dem österreichischen Gesetz verfolgten „Informationszwecke“ und die in der Schweiz beabsichtigte Transparenz werden in Deutschland bereits untergesetzlich erreicht. Auch deshalb braucht es kein DQR-Gesetz in Deutschland.
Fußnoten:
[1] Prof. Dr. Christian von Cölln von der Universität zu Köln: „Rechtsgutachten zur Klärung juristischer Fragen im Kontext der weiteren Umsetzung des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR)“, BMBF 2021.
Ansprechpartnerin:
BDA | DIE ARBEITGEBER
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Abteilung Bildung
T +49 30 2033-1500
bildung@arbeitgeber.de
Die BDA organisiert als Spitzenverband die sozial- und wirtschaftspolitischen Interessen der gesamten deutschen Wirtschaft. Wir bündeln die Interessen von einer Million Betrieben mit rund 30,5 Millionen Beschäftigten. Diese Betriebe sind der BDA durch freiwillige Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden verbunden.