Wachstumsinitiative praxisgerecht umsetzen
Stellungnahme BDA zur Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung (BT-Drs. 20/12779)
15. Oktober 2024
Zusammenfassung
Mit der Formulierungshilfe sollen Punkte der Wachstumsinitiative in den Entwurf des SGB III-Modernisierungsgesetzes eingebracht werden, die in der Zielrichtung in weiten Teilen sinnvoll sind. Allerdings ist die konkrete Umsetzung rechtlich problematisch, unklar oder nicht praxisgerecht.
- Die systemwidrigen Eingriffe in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung setzen sich fort. Die Bundesregierung entwickelt hier Routine. Das muss ein Ende haben. Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung dürfen nicht zweckentfremdet werden. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, Unternehmen durch Arbeitsentgeltzuschüsse finanziell bei der Freistellung ihrer Beschäftigten für berufsbezogene Sprachkurse zu unterstützen. Verantwortlich für den Spracherwerb für die Arbeit sind vorrangig die Unternehmen und Beschäftigten selbst
- Das Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit gehört ohne Einschränkungen abgeschafft. Die geplante Umsetzung stellt Zeitarbeitsbeschäftigte aus Drittstaaten besser und greift in tarifvertragliche Regelungen ein. Für die Arbeitslosenversicherung entsteht ein hoher bürokratischer Aufwand mit Kosten, die wieder die Solidargemeinschaft der Beitragszahlenden schultern soll.
- Mit der Genehmigungsfiktion für Geflüchtete kann die Beschäftigungsaufnahme deutlich beschleunigt werden. Eine entsprechende Regelung ist außerdem für Personen nötig, die mit einem Erwerbsmigrationstitel eingereist sind.
- Die Anschubfinanzierung löst das Grundproblem der hohen Transferentzugsraten im SGB II nicht. Hohe Mitnahmeeffekte sind bei nicht unerheblichen Kosten wahrscheinlich. Jeder und jede sollte durch Arbeit soweit möglich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Das ist nichts, was mit Prämien belohnt werden sollte.
- Die Zielrichtung des Integrationspraktikums ist grundsätzlich richtig, die Umsetzung aber unklar. Arbeitgeber können nicht dazu verpflichtet werden, Integrationspraktika anzubieten. Es braucht hierfür kein neues Instrument.
- Die Regelungen im SGB II zur Anpassung der Mitwirkungspflichten und Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen, zur Zumutbarkeit, der Karenzzeit beim Vermögen sowie zur Verhinderung von Schwarzarbeit sind sinnvoll.
- Die geplante Maßnahme zur Erprobung einer Beschäftigungsperspektive ermöglicht eine rechtssichere Gestaltung solcher Erprobungsphasen. Zu Recht wird – wie von der BDA vorgeschlagen – die Erprobungsphase nicht auf Unternehmen im Strukturwandel beschränkt.
Im Einzelnen
Berufsbezogener Spracherwerb liegt in der Verantwortung von Arbeitgebern und Beschäftigten, nicht der Arbeitslosenversicherung (§ 134 SGB II-E)
Die geplanten Arbeitsentgeltzuschüsse, wenn Arbeitgeber Beschäftigte für die Teilnahme an berufsbezogenen Sprachkursen freistellen, sind erneute versicherungsfremde Aufgaben- und Kostenzuweisungen in die Arbeitslosenversicherung. Verantwortlich für den Spracherwerb für die Arbeit sind vorrangig die Unternehmen und Beschäftigten selbst. Auch der im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf nun eingeschränkte Anwendungsbereich auf Arbeitsverhältnisse, in denen „der berufsbegleitende Spracherwerb wegen erschwerter Beschäftigungsaufnahme oder zur Stabilisierung der Beschäftigung erforderlich ist“, ändert an der grundlegenden Problematik nichts. Solche Entgeltzuschüsse dürfen nicht über die ohnehin bereits stark beanspruchte Arbeitslosenversicherung finanziert werden. Eine Einschätzung über die Höhe der möglichen Kosten durch die Maßnahme fehlt. Wenn man politisch Anreize zur Freistellung für notwendig erachtet, muss eine entsprechende Regelung im Aufenthaltsgesetz ergänzt und aus Steuermitteln finanziert werden.
Einschränkungen für die Zeitarbeit bei der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen endlich ohne Einschränkungen abschaffen (§ 40 Abs. 1a AufenthG-E)
Das Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit gehört ohne Einschränkungen abgeschafft[1]. Die geplante Umsetzung ist sehr restriktiv, stellt ausländische Beschäftigte aus Drittstaaten besser als inländische oder europäische Arbeitskräfte und greift in tarifvertragliche Regelungen ein. Damit geht sie am Ziel vorbei, Arbeitsmigration zu vereinfachen und untergräbt bestehende Rahmenbedingungen der Branche. Die Mindestbeschäftigungsdauer mit arbeitgeberseitigem Kündigungsverbot schafft ein spezielles Kündigungsrecht. Das Equal Pay ab dem ersten Tag unterläuft die tariflichen Regelungen der Zeitarbeitstarifverträge, die für die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten eines Zeitarbeitsunternehmens gelten. Insgesamt könnten die Regelungen gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Sie sind deshalb auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich. Für entleihende Unternehmen würde die geplante Umsetzung zu einer zusätzlichen Steigerung der Komplexität in der Administration führen, da für den Einsatz von Zeitarbeitskräften aus Drittstaaten spezifischer Konditionen und gesonderter Prozesse vereinbart werden müssten. Von einer „bürokratiearmen Umsetzung“ wie in der Wachstumsinitiative verabredet kann daher auch keine Rede sein.
Die Einschränkung auf Drittstaatsangehörige mit anerkanntem Hochschul- oder Berufsabschluss (entweder Personen mit der sog. kleinen Blauen Karte oder mit Uni- bzw. Berufsabschluss (§ 18a und b AufenthG)) geht zudem über die Verabredung in der Wachstumsinitiative hinaus. Hier ist keine Einschränkung vorgesehen bzw. spricht die die Wachstumsinitiative explizit allgemein von „ausländischen Arbeitnehmern“.
Schnellere Beschäftigungsaufnahme durch Genehmigungsfiktion für Geflüchtete sinnvoll (§ 60a Abs. 5b AufenthG-E sowie § 61 Abs. 3 AsylG-E)
Durch die Genehmigungsfiktion kann die Arbeitsaufnahme von Personen im Asylverfahren und Geduldeten deutlich beschleunigt werden. Viel zu oft müssen Arbeitgeber und Geflüchtete sehr lange auf die Erlaubnis der Ausländerbehörde und damit auf die Aufnahme der Beschäftigung warten. Das ist für alle Seiten frustrierend und ein volkswirtschaftlicher Verlust. Mit der Genehmigungsfiktion nehmen Arbeitgeber und Beschäftigte die Nachteile einer erhöhten Unsicherheit bis zur endgültigen Entscheidung der Ausländerbehörden in Kauf. Das Verfahren in den Ausländerbehörden sollte deshalb bundesweit einheitlich und für Arbeitgeber rechtssicher umgesetzt werden. Wenn automatisierte Antragsbestätigungen genutzt werden, sollten diese z. B. immer den Namen des Antragstellenden enthalten.
Die Genehmigungsfiktion ist eine Reaktion auf die bestehende Überlastung der Ausländerbehörden. Hier liegt das eigentliche Grundproblem, das viele ausländische Beschäftigte und deren Arbeitgeber immer wieder vor große Herausforderungen und Wartezeiten stellt. Daran ändert die Genehmigungsfiktion zur Beschäftigungsaufnahme für Geflüchtete nichts. Das Problem bleibt weiterhin für eine Vielzahl von Verfahren bestehen (z. B. bei ausländischen Fachkräften beim Wechsel von Aufenthaltstiteln oder des Arbeitgebers). Auch für Personen, die mit einem Erwerbsmigrationstitel eingereist sind, braucht es deshalb eine vergleichbare Regelung. Dann werden Geflüchtete im Vergleich zu anderen ausländischen Arbeitskräften nicht bessergestellt.
Anschubfinanzierung löst Grundproblem bei Erwerbsanreizen nicht (§ 16b SGB II-E)
Die Anschubfinanzierung löst das Grundproblem der hohen Transferentzugsraten und der fehlenden Erwerbsanreize in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II nicht. Gleichzeitig sind hohe Mitnahmeeffekte bei nicht unerheblichen Kosten wahrscheinlich. Zudem suggeriert die Anschubfinanzierung, dass die Arbeitsaufnahme etwas ist, das belohnt werden muss. Dies alles zeugt von einem falschen Verständnis von Arbeit: Die Bereitschaft zu arbeiten und für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen, ist wesentlicher Bestandteil unseres Sozial- und Wirtschaftssystems. Arbeit stärkt Eigenverantwortung und Selbstwertgefühl und ist sinngebend. Die Arbeitsaufnahme muss deshalb nicht belohnt werden. Sie darf aber auch nicht durch staatliche Rahmenbedingungen unattraktiv gemacht werden. Vor der Einführung einer Anschubfinanzierung sollte zunächst das Einstiegsgeld evaluiert werden. Es ist zu bezweifeln, dass das neue Instrument bereits kurzfristig zu finanziellen Entlastungen im Bundeshaushalt führt.
Vorhandene Instrumente mit Fokus auf Integration nutzen – mehr Verbindlichkeit für alle im SGB II (§ 16j SGB II-E)
Die Zielrichtung des Integrationspraktikums ist grundsätzlich richtig, die Umsetzung für die Jobcenter und die Unternehmen ist allerdings unklar. Arbeitgeber können und dürfen nicht dazu verpflichtet werden, Integrationspraktika anzubieten. Problematisch erscheint insofern die Umsetzung über das Instrument der Zuweisung. Damit darf nicht in die Sphäre der Arbeitgeber eingegriffen werden. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Arbeitgeber durch eine Zuweisung belastet wird. Insgesamt ist der Prozess der Aufnahme bzw. Einwerbung der Praktikumsplätze ebenfalls unklar. Auch hier kommt wieder zusätzlicher Verwaltungsaufwand auf die Jobcenter und Unternehmen zu. Statt ein neues Instrument zu schaffen und Umsetzungsaufwand zu generieren, wäre es sinnvoller die existierende Maßnahme beim Arbeitgeber stärker zu nutzen. Bei der geplanten Neuregelung ist nicht zu erkennen, dass sich Gedanken über die praktische Umsetzbarkeit und dessen Wirkung gemacht wurde.
Durch mehr Rechtsverbindlichkeit den Fokus auf Arbeit und Eigenbemühungen zu stärken, ist hingegen positiv. Das bringt wieder stärker zum Ausdruck, dass der Leistung des Sozialstaates auch Verpflichtungen gegenüberstehen. Durch die Ausgestaltung als Verwaltungsakt mit entsprechender Rechtsverbindlichkeit wird der mit dem Bürgergeldgesetz eingeführte unverbindliche Kooperationsplan quasi rückabgewickelt. Bessere Durchsetzungsmöglichkeiten von Verpflichtung sind insgesamt im SGB II sinnvoll und sollten nicht nur auf die Gruppe der Geflüchteten beschränkt sein. Die Nachbesserungsversuche der Bundesregierung zeigen die Inkonsistenz des Bürgergeld-Gesetzes.
Rückabwicklung des Bürgergeld-Gesetzes ist richtig (§§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3, 31a SGB II-E)
Die Schärfung der Zumutbarkeitsregeln für Pendelzeiten und Umzüge stärkt das Fordern und die berufliche Mobilität. Die kürzere Karenzzeit beim Schonvermögen ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Noch besser wäre jedoch eine generelle Abschaffung der Karenzzeit oder eine Reform beim Schonvermögen. Die Stärkung der Mitwirkungspflichten ist ebenfalls positiv. Höhere und schneller wirkende Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen sind zentral für mehr Anreize in der Grundsicherung. 30 % Leistungsminderungen von Beginn an sind schneller spürbar. Zu Recht wird dies auch auf Meldeversäumnisse ausgedehnt, die den Großteil der Pflichtverletzten ausmachen. Schwarzarbeit als Pflichtverletzung aufzunehmen ist grundlegend richtig. Dass zur Feststellung einer Pflichtverletzung durch Schwarzarbeit nun eine Meldung der Behörden der Zollverwaltung ausreicht, erleichtert den Jobcentern, Leistungen aus diesem Grund zu mindern.
Erprobungsphasen im Rahmen von Job-to-Job sinnvoll (§ 45a SGB III-E)
Die Schaffung einer Maßnahme zur Erprobung einer Beschäftigungsperspektive, wie jetzt im § 45a SGB III-E vorgesehen, entspricht zum großen Teil dem Vorschlag der BDA (vgl. BDA-Positionspapier - Überlegungen zur rechtssicheren Gestaltung von Erprobungsphasen im Rahmen von Job-to-Job-Wechsel zwischen Unternehmen). Gut ist, dass keine Einschränkung auf Unternehmen im Strukturwandel vorgesehen ist. Umstrukturierungen mit Arbeitsplatzabbau können auch aus anderen Gründen erfolgen. Die Verantwortung für die finanzielle Absicherung der Beschäftigten während der Erprobungsphase liegt bei den Arbeitgebern. Es ist daher richtig, dass keine Förderung durch die Arbeitslosenversicherung erfolgen und der bestehende Arbeitgeber weiterhin das Entgelt an seine Beschäftigten zahlen soll. Differenzierte Vereinbarungen zwischen aktuellem Arbeitgeber und dem Erprobungsbetrieb sollten möglich sein. Mit der geplanten elektronischen Beantragung und der Möglichkeit eines Sammelantrags werden bürokratische Aufwände bei den potenziell abgebenden Unternehmen und der BA reduziert. Die Administration der Erprobungsphase nach § 45a SGB III allein bei der Agentur für Arbeit, schafft Klarheit für Arbeitgeber. Allerdings wäre eine Beteiligung des Bundes an den administrativen Aufwänden der Arbeitslosenversicherung angezeigt.
Fußnoten:
[1] Für weitere Argumente siehe BDA-Kurzposition zur Abschaffung des Beschäftigungsverbotes in der Zeitarbeit für Drittstaatsangehörige
Ansprechpartnerin:
BDA | DIE ARBEITGEBER
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