Wachstumsinitiative praxisgerecht umsetzen
Stellungnahme BDA zur Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung (BT-Drs. 20/12779)
30. September 2024
Zusammenfassung
Die Frist für die Verbändeanhörung zu dieser Formulierungshilfe ist mit weniger als zwei Arbeitstagen indiskutabel. Der Entwurf ist am Freitag, den 27. September 2024 um 14.30 Uhr mit Frist bis Montag, 30. September 2024, 16.00 Uhr eingegangen. Offenbar besteht kein Interesse an der fachlichen Einschätzung der Verbände und der Sozialpartner. Das ist hier besonders problematisch, weil Änderungen im Bereich der selbstverwalteten Arbeitslosenversicherung vorgenommen werden sollen, die von Beschäftigten und Arbeitgebern paritätisch finanziert wird. Mit Blick auf die kurze Frist ist uns nur eine kursorische Prüfung und Stellungnahme möglich. Auf folgende Punkte möchten wir aktuell hinweisen:
- Die systemwidrigen Eingriffe in die Beitragskasse der Arbeitslosenversicherung setzen sich fort. Die Bundesregierung entwickelt hier Routine. Das muss ein Ende haben. Die Mittel der Arbeitslosenversicherung dürfen nicht zur Finanzierung des Bundeshaushalts zweckentfremdet werden.
- Es ist nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, Unternehmen durch Arbeitsentgeltzuschüsse finanziell bei der Freistellung ihrer Beschäftigten für die Teilnahme an berufsbezogenen Sprachkursen nach § 45a AufenthG zu unterstützen. Verantwortlich für den Spracherwerb für die Arbeit sind vorrangig die Unternehmen und Beschäftigten selbst. Da Berufssprachkurse nach § 45a AufenthG grundsätzlich für alle Menschen ohne ausreichende berufsbezogene Sprachkenntnisse offen sind, ist unklar, warum in der Begründung nur von Geflüchteten die Rede ist. Kosten und Aufwand für die Arbeitslosenversicherung werden nicht genannt.
- Das Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit gehört ohne Einschränkungen abgeschafft. Die hier geplante Umsetzung stellt Beschäftigte aus Drittstaaten in der Zeitarbeit besser und greift in tarifvertragliche Regelungen ein. Die vorgesehene Kontingentierung sowie die Einschränkung auf eine sehr kleine Gruppe von Drittstaatsangehörigen gehen zudem deutlich über die Verabredung in der Wachstumsinitiative hinaus. Von einer „bürokratiearmen Umsetzung“ kann damit keine Rede sein, obwohl sie explizit in der Wachstumsinitiative vereinbart war. Für die Arbeitslosenversicherung entsteht ein hoher bürokratischer Aufwand mit Kosten, die wieder die Solidargemeinschaft der Beitragszahlenden schultern soll.
- Die Anschubfinanzierung löst das Grundproblem der hohen Transferentzugsraten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht. Gleichzeitig sind hohe Mitnahmeeffekte bei nicht unerheblichen Kosten wahrscheinlich.
- Die Zielrichtung des Integrationspraktikums ist grundsätzlich richtig, die Umsetzung allerdings unklar. Arbeitgeber können nicht dazu verpflichtet werden, Integrationspraktika anzubieten. Es braucht hierfür kein neues Instrument. Statt ein neues Instrument zu schaffen und zusätzlichen Umsetzungsaufwand für die Jobcenter zu generieren, wäre es sinnvoller, die existierende „Maßnahme beim Arbeitgeber“ stärker zu nutzen. Mit dem Integrationspraktikum soll offenbar wieder ein Teil des Bürgergeldes für die Gruppe der Geflüchteten zurückgedreht und faktisch die durch den Kooperationsplan ersetzte Eingliederungsvereinbarung wieder eingeführt werden. Verpflichtungen besser durchsetzen zu können ist insgesamt im SGB II sinnvoll und sollten nicht nur auf die Gruppe der Geflüchteten beschränkt sein.
- Die sinnvollen Regelungen im SGB II zur Anpassung der Mitwirkungspflichten und Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen, zur Zumutbarkeit, der Karenzzeit beim Vermögen sowie zur Verhinderung von Schwarzarbeit würden durch die Wiedereinführung der Eingliederungsvereinbarung sinnvoll ergänzt. Nur so können effektiv Leistungsminderungen bei fehlender Mitwirkung verhängt werden.
- Die geplante Maßnahme zur Erprobung einer Beschäftigungsperspektive aus einem laufenden Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber ermöglicht eine rechtssichere Gestaltung solcher Erprobungsphasen. Zu Recht wird – wie von der BDA vorgeschlagen – die Erprobungsphase nicht auf Unternehmen im Strukturwandel beschränkt. Umstrukturierungen mit Arbeitsplatzabbau können auch aus anderen Gründen erfolgen. Die Verantwortung für die finanzielle Absicherung der Beschäftigten während der Erprobungsphase liegt bei den Arbeitgebern. Es ist daher richtig, dass keine Förderung durch die Arbeitslosenversicherung erfolgen soll.
Im Einzelnen
Berufsbezogener Spracherwerb liegt in der Verantwortung von Arbeitgebern und Beschäftigten, nicht der Arbeitslosenversicherung (§ 134 SGB II-E)
Das Bundesarbeitsministerium plant mit den vorgesehenen Arbeitsentgeltzuschüssen bei Freistellung für die Teilnahme an berufsbezogenen Sprachkursen wieder Aufgaben- und Kostenzuweisungen in die Arbeitslosenversicherung. Verantwortlich für den Spracherwerb für die Arbeit sind vorrangig die Unternehmen und Beschäftigten selbst. Dafür braucht es gute Rahmenbedingungen. Dazu gehören flexible Kursangebote (in Teilzeit und berufsbegleitend) und gute Trägerstrukturen in den Regionen sowie mehr digitale Angebote. Hier fehlt es an ausreichenden und praxisnahen Angeboten. Solche Entgeltzuschüsse dürfen nicht über die bereits stark beanspruchte Arbeitslosenversicherung finanziert werden. Eine Einschätzung über die Höhe der möglichen Kosten durch die Maßnahme fehlt vollständig. Wenn man politisch Anreize zur Freistellung für notwendig erachtet, muss eine entsprechende Regelung im Aufenthaltsgesetz ergänzt und aus Steuermitteln finanziert werden. Unklar ist, ob die Maßnahme nur für Geflüchtete oder für alle Beschäftigten, die an einem berufsbezogenen Deutschsprachkurs nach § 45a AufenthG teilnehmen, vorgesehen ist. In der Gesetzesbegründung wird die Maßnahme allein mit Erfahrungen mit Geflüchteten begründet. Der Gesetzestext enthält hingegen keine Einschränkung auf diesen Personenkreis.
Einschränkungen für die Zeitarbeit bei der Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen endlich ohne Einschränkungen abschaffen (§ 40 Abs. 1a AufenthG-E)
Das Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit gehört ohne Einschränkungen abgeschafft[1]. Die hier geplante Umsetzung ist sehr restriktiv, stellt ausländische Beschäftigte aus Drittsaaten besser als inländische oder europäische Arbeitskräfte und greift in tarifvertragliche Regelungen ein. Damit geht sie am Ziel vorbei, Arbeitsmigration zu vereinfachen und untergräbt bestehende Rahmenbedingungen der Branche. Die Mindestbeschäftigungsdauer mit arbeitgeberseitigem Kündigungsverbot schafft ein spezielles Kündigungsrecht. Das Equal Pay ab dem ersten Tag unterläuft die tariflichen Regelungen der Zeitarbeitstarifverträge, die für die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten eines Zeitarbeitsunternehmens gelten. Insgesamt greifen die Regelungen in die Tarifautonomie ein und könnten gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, weshalb diese auch aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich sind. Für entleihende Unternehmen würde die geplante Umsetzung zu einer zusätzlichen Steigerung der Komplexität in der Administration führen, da für den Einsatz von Zeitarbeitskräften aus Drittstaaten spezifischer Konditionen und gesonderter Prozesse vereinbart werden müssten.
Die vorgesehene Kontingentierung sowie die Einschränkung auf eine kleine Gruppe von Drittstaatsangehörigen (entweder Personen mit der sog. kleinen Blauen Karte oder mit deutschem Uni- bzw. Berufsabschluss) gehen zudem deutlich über die Verabredung in der Wachstumsinitiative hinaus. Von einer „bürokratiearmen Umsetzung“ kann daher auch keine Rede sein. Für die Bundesagentur für Arbeit (BA) entsteht ein neuer hoher bürokratischer Aufwand, da sie u. a. die Kontingente bestimmen und verwalten sowie prüfen müsste, ob ein inländischer Abschluss vorliegt.
Anschubfinanzierung löst Grundproblem bei Erwerbsanreizen nicht (§ 16b SGB II-E)
Die Anschubfinanzierung löst das Grundproblem der hohen Transferentzugsraten und der fehlenden Erwerbsanreize in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II nicht. Gleichzeitig sind hohe Mitnahmeeffekte bei nicht unerheblichen Kosten wahrscheinlich. Zudem suggeriert die Anschubfinanzierung, dass die Arbeitsaufnahme etwas ist, was belohnt werden muss. Dies alles zeugt von einem falschen Verständnis von Arbeit: Die Bereitschaft zu arbeiten und für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen, ist wesentlicher Bestandteil unseres Sozial- und Wirtschaftssystems. Arbeit stärkt Eigenverantwortung und Selbstwertgefühl und ist sinngebend. Die Arbeitsaufnahme muss deshalb nicht belohnt werden. Sie darf aber auch nicht durch staatliche Rahmenbedingungen unattraktiv gemacht werden. Da die Prämie nicht auf andere Leistungen angerechnet werden soll, stellt sie zudem ehemals Bürgergeld-Beziehende im Betrieb noch einmal über das Einstiegsgeld hinaus besser. Das birgt sozialen Sprengstoff. Vor der Einführung einer Anschubfinanzierung sollte zunächst das Einstiegsgeld evaluiert werden. Es ist zu bezweifeln, dass das Instrument bereits kurzfristig zu finanziellen Entlastungen im Bundeshaushalt führt.
Vorhandene Instrumente mit Fokus auf Integration nutzen – mehr Verbindlichkeit für alle im SGB II (§ 16j SGB II-E)
Die Zielrichtung des Integrationspraktikums ist grundsätzlich richtig, die Umsetzung für die Jobcenter und die Unternehmen ist allerdings völlig unklar. Arbeitgeber können und dürfen nicht dazu verpflichtet werden, Integrationspraktika anzubieten. Problematisch erscheint insofern die Umsetzung über das Instrument der Zuweisung. Damit darf nicht in die Sphäre der Arbeitgeber eingegriffen werden. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Arbeitgeber durch eine Zuweisung belastet wird. Insgesamt ist der Prozess der Aufnahme bzw. Einwerbung der Praktikumsplätze ebenfalls unklar. Auch hier kommt wieder zusätzlicher Verwaltungsaufwand auf die Jobcenter und Unternehmen zu. Statt ein neues Instrument zu schaffen und Umsetzungsaufwand zu generieren, wäre es sinnvoller die existierende Maßnahme beim Arbeitgeber stärker zu nutzen. Bei der geplanten Neuregelung ist nicht zu erkennen, dass sich der Gesetzgeber Gedanken über die praktische Umsetzbarkeit und dessen Wirkung gemacht hat.
Durch mehr Rechtsverbindlichkeit den Fokus auf Arbeit und Eigenbemühungen zu stärken, ist hingegen positiv. Das bringt wieder stärker zum Ausdruck, dass der Leistung des Sozialstaates auch Verpflichtungen gegenüberstehen. Durch die Ausgestaltung als Verwaltungsakt mit entsprechender Rechtsverbindlichkeit wird der mit dem Bürgergeldgesetz eingeführte unverbindliche Kooperationsplan quasi rückabgewickelt. Bessere Durchsetzungsmöglichkeiten von Verpflichtung sind insgesamt im SGB II sinnvoll und sollten nicht nur auf die Gruppe der Geflüchteten beschränkt sein. Die Nachbesserungsversuche der Bundesregierung zeigen die Inkonsistenz des Bürgergeld-Gesetzes.
Rückabwicklung des Bürgergeld-Gesetzes ist richtig (§§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3, 31a SGB II-E)
Die Schärfung der Zumutbarkeitsregeln für Pendelzeiten und Umzüge stärkt das Fordern und die berufliche Mobilität. Die kürzere Karenzzeit beim Schonvermögen ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Noch besser wäre jedoch eine generelle Abschaffung der Karenzzeit oder eine Reform beim Schonvermögen. Die Stärkung der Mitwirkungspflichten ist ebenfalls positiv. Höhere und schneller wirkende Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen sind zentral für mehr Anreize in der Grundsicherung. 30 % Leistungsminderungen von Beginn an sind schneller spürbar. Zu Recht wird dies auch auf Meldeversäumnisse ausgedehnt, die den Großteil der Pflichtverletzten ausmachen. Schwarzarbeit als Pflichtverletzung aufzunehmen ist grundlegend richtig.
Erprobungsphasen im Rahmen von Job-to-Job sinnvoll und die einzig echte Modernisierung (§ 45a SGB III-E)
Die Schaffung einer Maßnahme zur Erprobung einer Beschäftigungsperspektive, wie jetzt im § 45a SGB III-E vorgesehen, entspricht zum großen Teil dem Vorschlag der BDA (vgl. BDA-Positionspapier - Überlegungen zur rechtssicheren Gestaltung von Erprobungsphasen im Rahmen von Job-to-Job-Wechsel zwischen Unternehmen). Gut ist, dass keine Einschränkung auf Unternehmen im Strukturwandel vorgesehen ist. Umstrukturierungen mit Arbeitsplatzabbau können auch aus anderen Gründen erfolgen. Die Verantwortung für die finanzielle Absicherung der Beschäftigten während der Erprobungsphase liegt bei den Arbeitgebern. Es ist daher richtig, dass keine Förderung durch die Arbeitslosenversicherung erfolgen und der bestehende Arbeitgeber weiterhin das Entgelt an seine Beschäftigten zahlen soll. Differenzierte Vereinbarungen zwischen aktuellem Arbeitgeber und dem Erprobungsbetrieb sollten möglich sein. Mit der geplanten elektronischen Beantragung und der Möglichkeit eines Sammelantrags werden bürokratische Aufwände bei den potenziell abgebenden Unternehmen und der BA reduziert.
Fußnoten:
[1] Für weitere Argumente siehe BDA-Kurzposition zur Abschaffung des Beschäftigungsverbotes in der Zeitarbeit für Drittstaatsangehörige
Ansprechpartnerin:
BDA | DIE ARBEITGEBER
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
Abteilung Arbeitsmarkt
T +49 30 2033-1400
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