Europa muss praktischer und realitätsnäher werden,
ideologiegetriebenes Wunschdenken bringt uns nicht weiter.


BDA AGENDA 17/23 | KOMMENTAR DER WOCHE | 10. August 2023

Dr. Dirk Jandura
Präsident Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen

Uns Unternehmern in Deutschland, aber auch unseren Partnern weltweit, steht mit der Europäischen Lieferkettenrichtlinie eine drastische Verschärfung des ohnehin schon komplizierten deutschen Lieferkettengesetzes bevor. Die Corporate Sustainability Due Diligence wird deutlich mehr Unternehmen betreffen. Dadurch werden für viele von uns Bürokratiebelastung und Rechtsunsicherheit steigen, die Verpflichtungen und Risiken werden teils unkontrollierbar.

Politik allerorts ruft nach einer Diversifizierung der Lieferketten. Gleichzeitig droht durch den ausgedehnten Anwendungsbereich, die Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette und die zivilrechtliche Haftung eine Überforderung mittelständischer Betriebe. Denn die Einhaltung der Vorschriften und der notwendige Mehraufwand werden an kleinere Zulieferer weitergegeben. Und das gefährdet die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Menschenrechte sind ein hohes und unverhandelbares Gut. Der Schutz unserer Umwelt, des Klimas und unseres Planeten ist für mich ein Thema höchster Priorität und nicht zuletzt aus Gründen der Generationsgerechtigkeit ist hier Handeln geboten. Der aktuelle Entwurf der Europäischen Lieferkettenrichtlinie konterkariert diese Ziele aber. Die entwicklungsfördernde Wirkung globaler Wertschöpfungsketten wird geschwächt, wenn sich europäische Unternehmen aus Entwicklungsländern zurückziehen. Und das wird unweigerlich passieren, wenn der auferlegte Administrationsaufwand und die Dokumentationspflichten sich wirtschaftlich nicht mehr vertreten lassen. Damit wird dann auch die Versorgungssicherheit Europas erneut riskiert.

Darüber hinaus bin ich in tiefer Sorge um den europäischen Binnenmarkt. Ohne eine harmonische Rechtsetzung, fürchte ich, wird es zu einer Fragmentierung in 27 Einzelnormen kommen. Wenn Europa kein einheitliches Level-Playing-Field beispielsweise durch eine Binnenmarktklausel sicherstellen kann, wird die europäische Grundidee in Frage gestellt. Das darf nicht geschehen, denn Europa ist nicht nur Friedensanker, sondern eben auch in den letzten Jahrzehnten Garant für wirtschaftliches Wachstum und soziale Sicherheit in Deutschland gewesen.

Wir müssen im gemeinsamen Dialog zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zurückfinden zu realistischen und umsetzbaren Regeln, die weniger ideologisches Wollen widerspiegeln, sondern praktisches Tun und Können in den Fokus nehmen. Hier wäre geboten, zumindest einmal die eigenen Mitgliedsstaaten direkt auf eine Whitelist zusetzen. Ein anderes besonders prägnantes Beispiel ist das Vorhaben Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Wertschöpfungskette umsetzen zu wollen. Denn wir Praktiker wissen, dass bereits Lieferketten mehrere Ebenen mit hunderten oder gar tausenden von Standorten, Produktlinien und Einheiten umfassen können. Um hier priorisieren zu können, muss für uns Unternehmen ein risikobasierter Ansatz möglich sein.

Verhältnismäßigkeit, Praktikabilität und Rechtssicherheit wären für mich die zentralen Kriterien, an denen sich dieses und andere Vorhaben orientieren müssen, wenn wir wirklich nachhaltige und diversifizierte Lieferketten erreichen wollen. Schon immer waren Anreize erfolgreicher als Verbote. Das gilt insbesondere dann, wenn die Kontrollierbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit nicht umsetzbar ist. Die Richtlinie ist, wie so viele Gesetze in diesen Tagen, zwar gut gemeint, aber verdammt schlecht gemacht.