In der Öffentlichkeit wenig beachtet, aber auch ein wichtiger Teil der Sozialversicherung, ist die allein von den Arbeitgebern finanzierte gesetzliche Unfallversicherung. Mit einem durchschnittlichen Beitragssatz von 1,12 % und einem Umlagesoll der gewerblichen Berufsgenossenschaften von rd. 13,3 Mrd. € (2022) trägt auch sie zur Gesamtbeitragslast und den Lohnzusatzkosten bei. Anders als in der Renten- und Krankenversicherung hat es in der gesetzlichen Unfallversicherung seit ihrer Einführung noch nie ausgabensenkende Strukturreformen gegeben. Stattdessen hat sich die Unfallversicherung im Laufe der Jahrzehnte zunehmend von ihrer anfänglichen Zielsetzung entfernt: Ursprünglich wurde die gesetzliche Unfallversicherung eingeführt, um die Arbeitgeber von ihrer zivilrechtlichen Haftung gegenüber ihren Beschäftigten bei Arbeitsunfällen zu befreien.
Heute erbringt die Unfallversicherung jedoch auch viele teure Leistungen, für die die Arbeitgeber zivilrechtlich gar nicht haften müssten, z.B. für Wegeunfälle oder Volkskrankheiten wie Rückenschmerzen, die als Berufskrankheit entschädigt werden.
Von den von Berufsgenossenschaften übernommenen Kosten für Heilbehandlung und finanzielle Kompensation entfiel im Jahr 2022 rund ein Viertel auf Wegeunfälle.
Mit der letzten größeren Reform, dem Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz (UVMG) von 2008, hat die große Koalition Organisations- und Finanzierungsfragen der gesetzlichen Unfallversicherung neu geregelt. Die sehr viel wesentlichere Reform des Leistungsrechts ist dagegen gescheitert. Dabei kann nur durch eine Reform des Leistungsrechts die – angesichts der seit langem deutlich sinkenden Zahl der Arbeitsunfälle – mehr als überfällige Beitragsentlastung der Unternehmen erreicht werden.
Die Leistungen der Unfallversicherung müssen auf die Absicherung betriebsspezifischer Risiken konzentriert werden. Ein notweniger Schritt dazu wäre es, Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit, nicht mehr über die Unfallversicherung zu versichern. Denn auf das Risiko eines Wegeunfalls kann der Arbeitgeber keinen Einfluss nehmen kann. Dieses allgemeine Lebensrisiko ist über andere Sozialversicherungszweige bzw. private Versicherungen abgesichert (wie die Krankenversicherung). Und der Arbeitgeber könnte auch nie für einen solchen Unfall schadensersatzpflichtig gemacht werden.
Auch die teilweise bestehende Überversorgung durch Doppelbezug von Unfallrente und Arbeitsentgelt sowie von Unfall- und Altersrente muss korrigiert werden. Die heutige Unfallrente sollte durch eine Erwerbsschadensrente, die zielgenau die konkrete Einkommensminderung bis zum Eintritt in die Altersrente ausgleicht, ersetzt werden. Zudem sollten die Möglichkeiten zur Abfindung von Unfallrenten ausgebaut werden.
Die Abgrenzung allgemeiner Gesundheitsrisiken von Berufskrankheiten muss schärfer erfolgen. Die Voraussetzungen für die „Berufskrankheitenreife“ bestimmter Erkrankungen sind in Bezug auf die Abgrenzung zu Volkskrankheiten (z. B. Rückenleiden) und auch im Zusammenhang mit Risiken aufgrund persönlicher Verhaltensweisen präziser zu fassen.