Stellungnahme von BDA und DGB anlässlich der Bildungskonferenz der Sozialpartner 2024 am 11. Juni 2024 in Berlin:
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) werben anlässlich ihrer gemeinsamen Bildungskonferenz für eine Bildungsoffensive in Deutschland. Die Situation im Bildungssystem braucht entschlossene Schritte. Bildungsqualität und Chancengleichheit müssen oberste Ziele sein.
Empirische Studien belegen für Deutschland einen ungebrochen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Noch immer verlassen zu viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss, über 20 Prozent erwerben nicht die notwendigen Grundkompetenzen. Jedes Jahr münden deutlich mehr als 200.000 Jugendliche und junge Erwachsene in Maßnahmen des Übergangsbereichs ein. Zugleich bleiben Jahr für Jahr über 60.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Die Zahl der jungen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren ohne Berufsabschluss ist eine Folge des unzureichenden Bildungssystems und mit 2,86 Millionen viel zu hoch.
Mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland, den hohen Fachkräftebedarf und auf die gesellschaftspolitische Verantwortung für die nächsten Generationen dürfen uns diese Entwicklungen nicht ruhen lassen. Es müssen dringend wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um Bildungsqualität und Chancengleichheit voranzubringen. Die Maßnahmen müssen langfristigen Strategien folgen. Die Ressourcenzuweisung muss sich an der jeweiligen Ausgangslage und an den Zielen ausrichten.
Konkret erwarten wir ebenenübergreifend ein ambitioniertes Planen, Steuern und Nachhalten sowie verbindliche Kooperationen aller Akteure in Schule, Berufsorientierung und Ausbildung, um die folgenden Ziele zu erreichen:
- Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Basiskompetenzen nicht erreichen, bis 2035 deutlich reduzieren
- Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss bis 2035 deutlich reduzieren
- Zahl der jungen Menschen ohne Berufsabschluss bis 2035 deutlich reduzieren
- Öffentliche Bildungsausgaben anheben, auf Wirkung überprüfen, Effizienzen und Synergien nutzen, Prioritäten setzen
Vordringliche Maßnahmen für eine Bildungsoffensive:
- Bildung ist eine gemeinsame Investition in unsere Zukunft und sie muss allen zugute kommen. Bildungspolitik muss auf allen Ebenen auf klare Ziele ausgerichtet werden. Sie muss evidenzbasiert sein und die Wirkung aller Maßnahmen evaluieren. Strategien sollen über Legislaturperioden hinweg konzipiert sein und umgesetzt werden. Jedes festgelegte Ziel muss verbindlich mit den benötigten Ressourcen hinterlegt und nachgehalten werden.
- Wir erwarten von Bund, Ländern und Kommunen ein gemeinsames Commitment, die Qualität und Chancengleichheit im Bildungssystem zu verbessern und ein entsprechendes Format einzurichten. Alle Ebenen sollen in enger Zusammenarbeit untereinander und miteinander Ziele und konkrete Maßnahmen zu deren Erreichung beraten, umsetzen und kontinuierlich nachhalten. Sozialpartner und Zivilgesellschaft sind entlang der Themen konsequent zu beteiligen.
- Der enorme Fachkräfte- und Personalmangel in Kitas und Schulen bleibt trotz der hohen Zuwächse die Achillesferse im Bildungssystem. Verkürzte Bildungs- und Betreuungszeiten sowie negative Auswirkungen auf die pädagogische Qualität sind die Folgen. Um dies zu durchbrechen, muss ein zentraler Fokus auf dem Gewinnen und Binden von pädagogischen Fachkräften liegen. Dafür sind kurz,- mittel und langfristige Maßnahmen für gute Arbeitsbedingungen und Entlastungen zu treffen. Ebenso müssen die relevanten Ausbildungs- und Studiengänge ausgebaut und den Bedarfen angepasst werden. Die Gesamtstrategie „Fachkräfte Kitas und Ganztag“ ist von Bund, Ländern und Trägern zügig anzugehen und umzusetzen.
- Die große Bedeutung der frühkindlichen Bildung ist unbestritten. Ausreichend Betreuungsplätze sind Grundvoraussetzung, um alle Kinder fördern zu können und mehr Chancengleichheit zu erreichen. Wir erwarten, dass Bund, Länder und Kommunen den Ausbau der Kindertagesbetreuung weiterführen und ebenso die Anstrengungen zur Qualitätsverbesserung intensivieren werden. Der Bund muss zu seiner gesellschaftlichen und finanziellen Verantwortung stehen und den quantitativen wie qualitativen Ausbau der frühen Bildung auch ab 2025 verlässlich absichern. Das Ziel müssen bundesweit vergleichbare und verbindliche Rahmenbedingungen für Kita-Qualität sein.
- Der Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschulkinder ist ein wichtiger Meilenstein, um die ganzheitliche Bildung und Entwicklung von Kindern zu fördern und die Berufstätigkeit von Erziehenden durch ein Betreuungsangebot auch nach der Kita-Zeit abzusichern. Damit die Ganztagsangebote attraktiv und effektvoll sind, müssen sie von hoher Qualität sein. Wir sprechen uns nachdrücklich dafür aus, dass die Jugend- und Familienministerkonferenz und die Kultusministerkonferenz einen gemeinsamen, bundesweit geltenden Qualitätsrahmen für den Ganztag definieren. Eine multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und weiterem pädagogischen Personal ist notwendig, um alle Kinder individuell fördern und Bildungsbenachteiligungen abbauen zu können. Dafür braucht es ausreichend zeitliche Ressourcen sowie verbindliche und wirksame Kooperationsstrukturen.
- Schulen sollen Bildungsbenachteiligungen ausgleichen und alle Schülerinnen und Schüler zu einem Schulabschluss führen. Die Vermittlung von Basis- und Zukunftskompetenzen ist essenziell für einen guten Start in die Lebens- und Arbeitswelt. Lehrkräfte haben eine Schlüsselrolle für die Qualität der Bildung. Für ihre wichtigen Aufgaben brauchen sie eine hochwertige praxisnahe Aus- und Weiterbildung sowie spürbare Entlastung von nicht-pädagogischen Aufgaben. Personal und Unterstützungssysteme müssen besonders an Grundschulen und Schulen in herausfordernden Lagen ausgebaut werden. Das Startchancenprogramm ist ein wichtiges Instrument, um Schulen mit hohem Unterstützungsbedarf zu stärken. Es legt den richtigen Schwerpunkt, die Schulentwicklung vor Ort zu unterstützen, so dass alle Kinder gezielt, systematisch und individuell gefördert werden und die Grundkompetenzen verlässlich erwerben. Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation sind hilfreich für den Transfer zwischen Forschung und Praxis. Dieses Programm gilt es, sukzessive auszubauen und weitere Schulen profitieren zu lassen.
- Berufswahlkompetenz und Berufsorientierung sollen junge Menschen dabei unterstützen, eine fundierte Berufswahlentscheidung treffen zu können. Ausbildungs- und Studienabbrüche müssen verringert werden. Da noch immer zu viele Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Anschluss verlassen, muss die schulische Berufsorientierung frühzeitig einsetzen und praxisnah ausgebaut werden. Berufliche Orientierung sollte klischeefrei sein und an den Stärken und Interessen der jungen Menschen ansetzen. Zentrale Elemente für die Qualitätsverbesserung sind ein systematisch aufgebautes schulisches Curriculum sowie die Qualifizierung und Unterstützung der zuständigen Lehrkräfte. Wesentlich sind auch qualitativ hochwertige Praktika, die Einbindung der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit und die Kooperation in Netzwerken vor Ort.
- Jugendberufsagenturen sollen über Zuständigkeitsgrenzen hinweg Berufsberatung, Ausbildungsvermittlung und passgenaue Förderungen bieten, um Jugendliche beim Übergang von der Schule in den Beruf zu unterstützen. Dazu sollen die Jugendberufsagenturen und vergleichbare Strukturen flächendeckend ausgebaut werden. Dabei ist es u. a. wichtig, dass den Akteurinnen und Akteuren, die in Jugendberufsagenturen zusammenarbeiten, die nötigen finanziellen, technischen und personellen Mittel zur Verfügung stehen, um Kontakt, Beratung und Unterstützung wie aus einer Hand zu organisieren. Damit junge Menschen umfassend und individuell unterstützt werden können, müssen die Jugendberufsagenturen ihre Angebote kontinuierlich überprüfen und qualitativ weiterentwickeln. Um sicherzustellen, dass Schülerinnen und Schüler mit Verlassen der Schule nicht verloren gehen, müssen Schulen, Arbeitsagenturen, Kommunen, Sozialpartner und regionale Akteure eng zusam Die Schülerdatennorm liefert die gesetzliche Grundlage hierfür und muss in allen Ländern vollständig umgesetzt werden.
- Digitale Kompetenzen sind längst Teil der Allgemeinbildung und müssen jedem jungen Menschen im Bildungssystem vermittelt werden. Pädagogische Gesamtkonzepte und kompetente Lehrkräfte sind dafür Grundvoraussetzung. In der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften müssen umfassende digitale Kompetenzen für das Lehren und Lernen mit digitalen Medien sowie für die Medienbildung eine Selbstverständlichkeit sein. Der Digitalpakt 2.0 muss ab 2025 nahtlos abgesichert sein, damit begonnene Investitionen an Schulen nicht zurückgefahren werden. Der Bund muss auch künftig zu seiner finanziellen Verantwortung stehen. Damit die Digitalisierung von Schule und Bildung einen weiteren Schub erfährt, müssen die Mittel, anders als beim Digitalpakt Schule, unbürokratisch und schnell zur Verfügung gestellt werden.
- Die berufliche Bildung hat einen hohen Stellenwert für die Wirtschaftskraft Deutschlands. Daher brauchen Berufliche Schulen für ihre vielfältigen Aufgaben, insbesondere als Partner der Betriebe in der dualen Ausbildung, eine zukunftsfähige Sach- und Personalausstattung. Dies bedeutet, den akuten Bedarf an qualifizierten Lehrkräften, insbesondere im MINT-Bereich, sicherzustellen und die Chancen digital gestützten Lernens an Berufsschulen zu nutzen. Dazu sind eine angemessene technische Ausstattung, eine konsequente Weiterbildung des Lehrpersonals sowie didaktische Konzepte zum Einbinden neuer Technologien und Medien in den Unterricht erforderlich. Die Länder müssen gemeinsam mit dem Bund den Pakt für Berufliche Schulen mit Leben füllen und finanziell so ausstatten, dass die dringenden Investitionen getätigt werden können.
Die Sozialpartner bekräftigen mit dieser Stellungnahme ihren Aufruf an Bund, Länder und Kommunen anlässlich des Bildungsgipfels 2023, gemeinsam für mehr Chancengleichheit und bessere Bildungsqualität Sorge zu tragen.