Vorwort
Die BDA-Kommission „Zukunft der Sozialversicherungen: Beitragsbelastung dauerhaft begrenzen“ hat im Juli 2020 die erste Fassung dieses Berichts vorgelegt. Ziel der Kommission war es, Reformvorschläge zu erarbeiten, mit denen die Beitragssätze der Sozialversicherung dauerhaft unter 40 Prozent gehalten werden können.
Die damals erarbeiteten Vorschläge haben bis heute – fast fünf Jahre später – nichts an Aktualität eingebüßt. Der zwischenzeitliche Anstieg der Beitragssätze und aktualisierte Simulationen ihrer künftigen Entwicklung weisen sogar auf einen noch gewachsenen Handlungsbedarf hin.
Nachdem die Beitragssätze mehr als zehn Jahre lang knapp unter 40 Prozent hatten gehalten werden können, haben sie diese wichtige Grenze 2022 wieder überschritten. Seitdem sind die Beitragssätze weiter gestiegen. Die Beitragsbelastung hat in diesem Jahr bereits 42 Prozent erreicht. Ohne ein Gegensteuern ist mit einem weiteren kräftigen Anstieg in den nächsten Jahren zu rechnen.
Die aktuelle Entwicklung bestätigt eindrucksvoll, wie richtig es war, dass sich frühere Regierungskoalitionen verständigt hatten, die 40-Prozent-Grenze einzuhalten. Jetzt zeigt sich, dass es ohne eine politisch gesetzte Obergrenze an den notwendigen Anstrengungen fehlt, die Beitragsbelastung zu begrenzen. Dass ein selbst gestecktes Ziel für die Beitragshöhe fehlte, hat vielmehr zu einer bislang nicht gekannten Dynamik bei der Entwicklung der Beitragssätze beigetragen.
Negative wirtschaftliche Folgen waren zu erwarten und sind nicht ausgeblieben. Wie schon in den Jahren 2003 bis 2007, als die Beitragsbelastung schon einmal ähnlich hoch war wie heute, leidet Deutschland heute erneut unter Wachstumsschwäche und steigender Arbeitslosigkeit.
Um zu verhindern, dass diese ungünstigen Entwicklungen anhalten, ist es von zentraler Bedeutung, dass die neue Regierungskoalition das 40-Prozent-Ziel wieder ernst nimmt und entschlossen anstrebt. Dieses Ziel zu erreichen, ist nicht einfach, aber möglich. Vor allem wären die wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen eines ungebremst weiteren Anstiegs der Beitragssätze noch viel belastender als das erforderliche Umsteuern. Mit einer Wirtschaft ohne Dynamik und einem schwachen Arbeitsmarkt lässt sich kein starker Sozialstaat finanzieren.
Die Kommission hat ihren Bericht aktualisiert und legt ihn neu vor. Sie will damit aufzeigen, wie die dauerhafte Begrenzung der Beitragssätze gelingen kann. Sie schlägt Maßnahmen vor, die sozialpolitisch angemessen und zumutbar sind. Wenn die politische Bereitschaft zu ihrer Umsetzung besteht, sollten sie auch vermittelbar sein. Die im Kommissionsbericht aufgezeigten Vorschläge sind dabei nicht alternativlos. Es sind auch andere Wege möglich. Jedoch kann nicht ersatzlos auf einzelne der vorgeschlagenen Reformelemente verzichtet werden.
Die Kommissionsvorschläge haben bei der erstmaligen Vorlage des Berichts im Jahr 2020 ausgereicht, um das 40-Prozent-Ziel dauerhaft einzuhalten. Auf dem heutigen Stand wäre dies nicht mehr der Fall. Vielmehr ließe sich mit ihnen „nur“ ein weiterer Beitragssatzanstieg vermeiden. Dies ist die Folge der Politik der letzten Jahre, die den Ausgabenanstieg in den Sozialversicherungen sogar noch beschleunigt hat, statt rechtzeitig Reformen anzugehen, die diesen Anstieg begrenzen. Dies gilt vor allem für die gesetzliche Krankenversicherung (z. B. vollständige Refinanzierung der Pflegepersonalkosten, zusätzliche Ärztevergütungen nach dem Terminservice- und Versorgungsgesetz, Beschneidung der Krankenhausabrechnungsprüfung), aber auch die soziale Pflegeversicherung (z. B. Deckelung der Eigenanteile und starke Leistungsdynamisierung).
Die Kommission hat sich trotzdem entschieden, bei der aktualisierten Auflage ihres Berichts über ihre bisherigen Vorschläge hinaus keine neuen Maßnahmen vorzuschlagen. Damit möchte sie aufzeigen, dass es seinen Preis hat, die notwendigen Reformen zu unterlassen. Denn mittlerweile bedarf es einschneidenderer Reformen, um die Beitragsbelastung nachhaltig unter 40 Prozent halten zu können. Dies könnte mit einer verschärften Umsetzung der Kommissionsvorschläge erreicht werden (z. B. mit einer Nachjustierung beim Nachhaltigkeitsfaktor, wie er für die Renten- und Pflegeversicherung vorgeschlagen wird) oder auch mit zusätzlichen Maßnahmen.
Aus den Fehlern der vergangenen Jahre sollte gelernt werden. Rasches Handeln ist das Gebot der Stunde. Ein Zuwarten macht die unvermeidbaren Anpassungen nur umso größer. Der unmittelbar bevorstehende Renteneintritt der geburtenstärksten Jahrgänge lässt kein weiteres Zögern zu.
Ein Regierungswechsel ist eine gute Chance, die Weichen neu zu stellen. Deutschland hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, wie die Sozialversicherungen mit mutigen Reformen neu aufgestellt und finanzierbar gehalten werden können. Nie war diese Aufgabe leicht, sie wurde bislang aber stets erfüllt. Dazu muss nun aber auch gehandelt werden. Die Kommission will mit ihrem aktualisierten Bericht zeigen, wie es gehen kann.
Berlin, im Februar 2025