Erst das Land und die Wirtschaft, dann die Parteien


BDA AGENDA 05/24 | KOMMENTAR DER WOCHE | 7. März 2024

Dr. Joachim Schulz, Vorsitzender von Südwestmetall

„Erst das Land, dann die Partei“: Mit dieser Maxime hat Willy Brandt einst klargestellt, dass Politiker in schwierigen Zeiten Entscheidungen treffen müssen, auch wenn diese nicht der Parteilinie entsprechen oder die Aussichten bei den nächsten Wahlen verschlechtern. Es ist höchste Zeit, die Politik wieder an diese Maxime zu erinnern.

Die Parteien der Ampelregierung befinden sich offenbar im Dauerprofilierungsstreit. Wichtige Themen werden nicht intern am Kabinettstisch besprochen. Stattdessen lanciert jeder seine eigenen Ideen erst einmal in der Öffentlichkeit – wissend, dass damit der nächste Streit provoziert wird. Die SPD erklärt einen üppig ausgebauten Sozialstaat für unantastbar, obwohl dieser ohne wirtschaftlichen Erfolg dauerhaft nicht finanzierbar ist. Die Grünen wollen beim Klimaschutz mit dem Kopf durch die Wand – und verlieren bei der Regulierung des letzten Details den Blick fürs Ganze. Die FDP blickt bei der Wählergunst in den Abgrund und hält daher umso mehr an ihren Prinzipien fest, was zur Blockade der Regierenden beiträgt.

Die Unionsparteien sind in diesem Spiel keineswegs außen vor. Viele der Probleme, mit denen die Ampel kämpft, sind ja nicht erst seit 2021 entstanden, sondern durch Versäumnisse der unionsgeführten Vorgängerregierung. Diese ist in guten Zeiten viel zu oft den bequemen Weg gegangen, hat den Ausbau des Sozialstaats durchgewinkt, anstatt in die Zukunft zu investieren. Man denke nur an die verschleppte Energiewende oder an den desolaten Zustand der Bahn. Deshalb ist ihre aktuelle Oppositionspolitik der verschränkten Arme, mit der sie die Ampel vor sich hertreibt, leicht als wahl- und parteitaktisches Manöver zu durchschauen.

Auch die Bürgerinnen und Bürger – die Wähler – verstehen dies und wenden sich teils von den Parteien der demokratischen Mitte ab, weil sie diesen nicht mehr die Lösung der aktuellen Probleme zutrauen. Es ist daher höchste Zeit, dass diese Parteien den Reset-Knopf drücken, sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren und gemeinsam an Lösungen arbeiten. Die Themen liegen auf der Hand. Ganz oben auf die Agenda muss die Stärkung der Wirtschaft, die Entfesselung der lahmenden Wachstumskräfte. Denn es ist ganz simpel: Ohne eine starke Wirtschaft lässt sich kein Sozialstaat und keine Energiewende finanzieren.

Außerdem müssen die demokratischen Parteien endlich in den Punkten liefern, die die Wähler zu populistischen, rechtsextremen Kräften treiben, etwa die Eindämmung der illegalen Migration (ohne die Zuwanderung von Fachkräften zu beschädigen), ein Wohlstandsversprechen, das die Leistungserbringer und nicht nur die Leistungsempfänger in den Blick nimmt, mehr Verlässlichkeit politischer Entscheidungen oder weniger Bürokratie.

Unser Land hat viele enorme Potenziale, die aufgrund schlechter Politik nicht genutzt werden. Die demokratischen Parteien haben es in der Hand, dies zu ändern. Das wäre gut: Zuerst für unser Land, für unsere Demokratie – langfristig dann aber auch für die angesprochenen Parteien.