Warum steigende Arbeitslosigkeit den Fachkräftemangel nicht heilt – und warum sich Arbeit wieder lohnen muss
Von Arbeitgeberpräsident Dr. Rainer Dulger
Wir befinden uns im dritten Jahr der Rezession – und auch der Arbeitsmarkt hat sich spürbar abgekühlt. Seit 2022 steigt die Arbeitslosigkeit, diesen Sommer könnte die 3 Mio.-Marke wieder gerissen werden. Der Zollstreit mit den USA schafft für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt zusätzliche Belastung und Unsicherheit. Gleichzeitig braucht Deutschland in Zeiten des demografischen Wandels mehr Arbeit. Klingt paradox – und deshalb ist es auch so schwer, mit Argumenten durchzudringen. Warum sollte man auf die abschlagsfreie Frührente verzichten oder mehr arbeiten, wenn andere keinen Job finden und durch die ständig steigenden Sozialabgaben ohnehin immer weniger Netto vom Brutto bleibt?
Die konjunkturelle Abkühlung löst die Personalengpässe nicht – sie verschärft sie. Sie potenziert die arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen und verlangt, dass wir den Ist-Zustand nicht mit der Zukunft verwechseln. Bis 2036 erreichen 19 Mio. Babyboomer das Renteneintrittsalter. Sie stellen ein Viertel aller Beschäftigten. Kein Technologieschub wird die dadurch entstehende Arbeitsnachfrage kompensieren können.
Vor diesem Hintergrund stellen sich zentrale politische Fragen: Wie bringen wir Arbeitslose und Arbeitgeber trotz sich wandelnder Anforderungen zusammen? Was heißt das für die aktive Arbeitsmarkpolitik und für die Weiterbildung? Wie vermeiden wir Langzeitarbeitslosigkeit? Und wie stellen wir sicher, dass die Arbeits- und Fachkräftesicherung ganz oben auf der politischen Agenda bleibt?
Ein Blick auf Arbeitslose und Beschäftigte zeigt: Der Strukturwandel verändert Tätigkeiten rasant. Was arbeitssuchende Personen mitbringen, passt immer seltener zu dem, was Unternehmen suchen. Je länger die aktuelle Schwächephase anhält, desto mehr verfestigt sich Arbeitslosigkeit – und desto schwieriger wird es, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Deshalb gilt: vermitteln, vermitteln, vermitteln. Chancen gibt es: vielleicht nicht direkt vor Ort, nicht in der gleichen Branche oder nicht zum gewohnten Gehalt.
Gerade in dieser Lage braucht es die richtigen Rahmenbedingungen: Arbeit muss sich lohnen – und der Staat muss Maß halten. Jede zusätzliche Stunde Arbeit muss sich im Portemonnaie bemerkbar machen – das motiviert, macht Lust auf mehr Arbeit. Gleichzeitig muss Mitwirkung von jedem Arbeitssuchenden eingefordert werden. Unternehmen wiederum müssen noch stärker in Netzwerken zusammenarbeiten, um direkte Übergänge zwischen Betrieben zu ermöglichen. Teure Frühverrentungsanreize wie die sogenannte abschlagsfreie Rente mit 63 dürfen dem Arbeitsmarkt nicht weiter dringend benötigte Arbeitskräfte entziehen. Mehr Kitas und Ganztagesschulen müssen Eltern mehr Arbeitszeit ermöglichen.
Arbeitgeber müssen aktuell mit Stagnation und Unsicherheit zurechtkommen. Viele agieren vorsichtig: Lieber bestehende Beschäftigte halten, für die es keinen Ersatz gibt, als neue einstellen. Hier brauchen es Verlässlichkeit und Vertrauen in den Standort – dann steigt auch die Einstellungsbereitschaft. Doch das ist nur die halbe Miete. Arbeitgeber müssen flexibler werden: Die perfekte Fachkraft wird es immer seltener geben – gerade weil sich die Anforderungen so schnell wie noch nie ändern. Berufsbegleitende Qualifizierungen – idealerweise on-the-job – helfen, passgenau weiterzubilden.
Der Arbeits- und Fachkräftemangel gehört ganz oben auf die politische Agenda. Die Umwälzungen sind zu tiefgreifend, als dass man sie aussitzen könnte. Mehr Arbeit darf kein Tabuthema sein. Wir brauchen mehr Flexibilität, mehr Netto vom Brutto und eine bessere Betreuungsinfrastruktur. Zuwanderung in Beschäftigung kann helfen, Lücken zu schließen. Wenn die Regierung jetzt zögert, wird sie später weiterhin Stagnation ernten. Denn ohne Menschen, die anpacken, kann kein Land wachsen.
Den Gastbeitrag lesen Sie in der FAZ vom 28.7.2025.
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