Bei Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft stößt technische Normung an ihre Grenzen

Technische Normung und Standardisierung, organisiert seit vielen Jahren durch das Deutsche Institut für Normung (DIN), ist eine ureigene Selbstverwaltungsaufgabe der Privatwirtschaft. DIN-Normen haben sich über Jahrzehnte einen guten Ruf in der Welt und in Deutschland erarbeitet. Vor allem technische Normen haben zum Erfolg von „Made in Germany“ beigetragen.

Normung in ihrer ursprünglichen Form ist ein Mittel der Wirtschaftspolitik, um den nationalen Binnenmarkt nachhaltig zu stärken. Im Zentrum steht dabei die Normung technischer Produkte und Prozesse, welche vor allem die Industrie betreffen. Auch auf europäischer Ebene nimmt technische Normung in diesem Sinn eine tragende Rolle bei der Stärkung des europäischen Wirtschaftsraums und des grenzfreien Transfers von Technologien und Innovationen ein (New Legislative Framework).

Treiber der Normung sind Unternehmen, Interessengruppen, Forschungseinrichtungen und Einzelpersonen mit einem Normungsinteresse an einem bestimmten Sachverhalt. Träger der Normung, das heißt, durchführende Organisationen, sind nationale Normungsinstitute wie DIN, europäische Normungsorganisationen wie CEN und CENELEC sowie die „International Organisation for Standardisation“ (ISO). Die drei Ebenen sind durch mehrere gegenseitige Kooperationsabkommen untereinander verbunden, Institute der untersten Ebene können gleichzeitig Mitglied der europäischen sowie der internationalen Ebene sein. Dadurch können Normen einer jeden Ebene schnell auf eine andere Ebene befördert und dort veröffentlicht werden.
Tarifautonomie, Betriebspartnerschaften und unternehmerische Freiheit betroffen

In den letzten Jahren haben sich die Aktivitäten der ISO und in ihrem Gefolge des DIN zunehmend in Themenbereiche ausgedehnt, die durch das Grundgesetz (Artikel 9 Absatz 3) als vorrangiges Tätigkeitsfeld der Betriebs- und Sozialpartner geschützt werden.

Es gibt eine rapide wachsende Zahl an Normungsvorhaben, vor allem in den Bereichen der betrieblichen Personalpolitik und des Arbeitsschutzes. Weitere Normen, welche die Sozialpartner unmittelbar betreffen, finden sich in den Bereichen Corporate Social Responsibility (CSR), Whistleblowing, Sustainable Finance und Compliance. Anschauliche Beispiele hierfür sind das ISO-Normungsvorhaben „Human Resource Management“, das mit einer Vielzahl Einzelvorhaben (Beispiel: ISO 30201 „Human Resource Management System“) nahezu alle Bereiche der betrieblichen Personalpolitik betrifft, sowie der Antrag zu „Social Responsibility“ zur Schaffung einer Familie von ISO-Standards zu CSR. Auch die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen (UN), die weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen sollen, werden nach und nach in Normen und Standards umgesetzt. Von diesen 17 Zielen liegt Nummer 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ inhaltlich besonders nah an den Themen der Sozialpartnerschaft. Personalpolitisch besonders brisant ist das ISO-Vorhaben „Compensation“, welches umfassende, allgemeine Regeln für den Bereich des Arbeitsentgelts, dessen Ausgestaltung, Prozesse, Zusammensetzung und Zuständigkeiten für alle Unternehmen, egal welcher Größenordnung, aufstellen will. Das Normungsvorhaben geht weit über das hinaus, was z.B. das Entgelttransparenzgesetz oder das Mindestlohngesetz in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vorsehen. Damit werden die gemeinsam in Tarifverhandlungen und Betriebsvereinbarungen ausgehandelten Regelungen zu Entgelt unterwandert. Allerdings ist das Vorhaben derzeit auf „ruhend“ gestellt.

Diese Entwicklung ist alarmierend, da sie bei ungehindertem Voranschreiten die Gefahr der schleichenden Verdrängung der Regeln und letztlich der Regelungskompetenz der Sozial- und Betriebspartner befürchten lässt. Technische Normung läuft nach völlig anderen Grundsätzen als Tarifgestaltung oder betriebliche Personalarbeit ab. Diese Grundsätze lassen sich weder auf die Grundsätze der Sozialpartnerschaft, wie sie Artikel 9 Abs. 3 GG vorgibt und wie sie die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeformt hat, übertragen, noch unterhalb von Art. 9 Abs. 3 GG analog anwenden.

Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken laufen die Arbeitgeber, aber auch die Beschäftigten, in Deutschland mehr und mehr Gefahr, dass betriebliche Handlungsspielräume durch Normen auf diesem Gebiet unnötig und ungefragt eingeschränkt werden. Zwar ist die Anwendung einer Norm grundsätzlich freiwillig, kann aber durch die generelle Annahme als State-of-the-Art, über vertragliche Vereinbarungen in der Lieferkette sowie die öffentliche Auftragsvergabe zu einem Anwendungszwang führen und über die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sogar Teil der Rechtsprechung werden. In den beratenden Ausschüssen des DIN haben alle Vertreterinnen und Vertreter, unabhängig davon für wie viele Unternehmen oder Beschäftigte sie sprechen, gleiches Gewicht, so dass Einzelinteressen über eine Mehrheit in den Ausschüssen durchgesetzt werden können. Besonders die Tarifautonomie, als eine tragende Säule der Sozialen Marktwirtschaft und Garant für sozialen Frieden und Wohlstand in Deutschland, gerät durch solche Normungsvorhaben in Gefahr, eingeschränkt und ausgehöhlt zu werden.

Begrenzung der Normung im Interessenraum der Sozialpartnerschaft

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat die BDA ihr Engagement in der Normungsarbeit zusammen mit ihren Mitgliedern gezielt verstärkt und beteiligt sich intensiv im Sinne des Monitorings an den verschiedenen Normungsvorhaben und der Arbeit im DIN und bei ISO. Unser Ziel ist es, uns vor allem für den Erhalt betrieblicher Handlungsspielräume einzusetzen. Dabei sollte es eine klare Differenzierung zwischen der technischen Norm und der sozialpolitischen Norm geben. DIN darf durch die Ausweitung seines Geschäftsmodells den internationalen Trend zur Normung im sozialpolitischen Bereich nicht auch noch verstärken. Hier ist die Selbstregulierung durch die Wirtschaft und damit in diesem Fall durch die Sozialpartner nicht mehr gegeben. Dies geht an den Interessen der Unternehmen weit vorbei.