EU Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr - Braucht es eine Regulierungsbremse angesichts währender Herausforderungen?


BDA AGENDA 6/23 | KOMMENTAR DER WOCHE | 23. März 2023

Dr. Markus Pieper MdEP, Abgeordneter im Europäischen Parlament und
Mitglied im Ausschuss für Industrie / Forschung / Energie

Die anhaltenden Krisen haben das Unternehmertum nachhaltig verändert.
Klar ist, dass der „Business as Usual“ Ansatz, mit Blick auf die große Unsicherheit in der Geschäftstätigkeit in Europa, einem anpassungsfähigeren Rahmen weichen muss.

Erste Anzeichen eines Umdenkens seitens der Europäischen Kommission sind hinsichtlich der Pausierung der EU-Chemikalienverordnung oder der Taxonomie im Sozialbereich zu erkennen. Auch die Ankündigung der Kommissionspräsidentin bis Herbst dieses Jahres konkrete Vorschläge zur Minderung der Berichtspflichten vorzulegen, ist durchaus positiv. Dennoch scheint es, als sei Regulierung weiterhin DAS Mittel der Wahl. Standort- und unternehmensfeindliche Vorschläge haben trotz Kritik aus dem Parlament und den Mitgliedstaaten Hochkonjunktur. Beispielhaft sind die ökologische Überregulierung des dringend benötigten Wasserstoffs, die Überarbeitung der Pflanzenschutzmittelverordnung oder das sogenannte Naturwiederherstellungsgesetz. Letztere bedeuten für Landwirte massive Berufseinschränkungen oder die potenzielle Stilllegung. Was das für die Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit bedeutet, lässt sich ausmalen.

Als wäre das nicht genug, möchte die Kommission nun noch die nach ihrer Auffassung am schlechtesten definierten Gebäude auf den neuesten energetischen Stand bringen. Der umstrittene Kommissionsvorschlag zur Energieeffizienz von Gebäuden vereinte im Europäischen Parlament zuletzt zwar die Mehrheit der Abgeordneten auf sich. Doch das Abstimmungsergebnis zeigt eine große Spaltung auf. Denn er lässt Hausbesitzer, Wohneigentümer und die Wohnungswirtschaft mit den Kosten alleine. Sollte der Vorschlag Realität werden, bedeutet das allein für Deutschland eine Verdreifachung der Sanierungsleistung. Das in Zeiten von Fachkräftemangel!

Taxonomie, Nachhaltigkeitsberichterstattung oder EU-Lieferkettengesetz - das sind einige weitere Dossiers, die Mehrbelastung ohne Mehrwert bedeuten und zudem die Finanzierungsaussichten von KMU erschweren. Auch der Anfang Februar vorgestellte „Grüne Industrieplan“ stellt mehr statt weniger Regulierung in Aussicht. Der im Rahmen dessen veröffentlichte Net Zero Industry Act (NZIA) und damit beabsichtigte Ausbau zukunftsfähiger Schlüsseltechnologien des Green Deal ist zwar eine gute Entwicklung. Doch es zeigen sich Widersprüchlichkeiten zu der laufenden Überarbeitung der Richtlinie zu Industrieemissionen (IED): Während der NZIA den beschleunigten Ausbau von Produktionskapazitäten beabsichtigt, greift der Anwendungsbereich der IED auf den Rohstoffabbau über, nimmt Industrieanlagen bezüglich „kritischer“ Grenzwerte in den Blick und fordert neue umfangreiche Informationspflichten, was in starkem Kontrast zum neuesten Vorschlag der Kommission steht.

Die Anliegen der Kommission sind größtenteils richtig. Das Problem liegt vielmehr in der Ballung von Gesetzen bei unsicherer Lage mit nicht aufeinander abgestimmten Regulierungsvorhaben. Europa sieht sich inmitten der ökonomischen Transformation vor existenziellen Fragen, die dringlicherer Lösungen bedürfen: Fragen rund um die Energiewende, Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit oder Standortattraktivität. Zunehmende und vor allem einseitige Berichtspflichten bringen nicht die avisierte Veränderung, sondern überstrapazieren nur die verwaltungstechnische Belastbarkeit mittelständischer Betriebe.

Ideologisch getriebene, politische Bestrebungen müssen endlich an die reellen Bedingungen von Familienunternehmen angepasst und auch aus ihrer Sicht gedacht werden. Wir brauchen ein Bürokratiemoratorium, smarte Regulierung, One-In-One-Out und die Konsolidierung aller Berichtspflichten in einem einzigen (digitalen) Rechtsinstrument. Ein einfacher, kohärenter Gesetzesrahmen statt unübersichtlicher Gesetzgebung sowie der merkliche Abbau der Regulierungslast - das wäre ein dringend benötigter Schritt hin zu einem wettbewerbsfähigen Europa. EU Mindestlöhne und Details der Entgelttransparenz muss die EU der Subsidiarität und damit nationaler Gesetzgebung überlassen. Es gilt, sich jetzt auf Gesetzgebung zu konzentrieren, die aus der Krise führt.